Erst ich ein Stück, dann du - Sarah und die Wun
Immer viel zu tun
Es geschah an einem lauen Sommerabend. Die Sonne leuchtete noch hell und warm über die flauschige Wolkenschicht hinweg und kitzelte Linni auf der Nase. Linni war eine Wunschfee und sie lebte auf Wolke 93, was nicht sonderlich bequem war. Zum einen war Wolke 93 sehr klein, sodass Linni darauf gerade eben Platz fand, und zum anderen war diese Wolke so unwichtig, dass sie nur zweimal in der Woche über den Himmel ziehen durfte. Linni musste sich jedes Mal mächtig abhetzen, um die vielen Wünsche auf ihrer Liste in dieser kurzen Zeit abzuarbeiten.
Vorsichtig streifte sie ihre kleine rosa Umhängetasche von der Schulter und zog die blaue Kladde mit dem abgegriffenen Goldrand daraus hervor.
Linni schlug die Kladde auf.
Zum Glück standen heute
nur drei Wünsche darin.
Bis übermorgen Nachmittag musste Linni
alle erfüllt haben.
Das war kein Problem.
Es sei denn, es kam irgendetwas Unvorhergesehenes dazwischen. Zum Beispiel ein lange gehegter Herzenswunsch, der so still und bescheiden durch den Himmel
huschte, dass ihn bisher noch niemand bemerkt hatte. Linni war eine ausgemachte Herzenswunschspezialistin. Anders als ihre Feenfreunde Vivi und Svinn hörte sie auch die winzig kleinen, sehr, sehr leisen Wünsche. Und sobald sie einen solchen Herzenswunsch vernahm, musste sie ihn erfüllen, und zwar so schnell wie möglich.
„He, Linni!“, rief Vivi, die gerade auf ihrer außerordentlich komfortablen Wolke 77 vorbeischwebte. „Träumst du? Oder hast du nichts zu tun?“
„Klar, hab ich etwas zu tun!“,
rief Linni zurück
und schwenkte ihre Kladde.
„Drei Wünsche! Das ist ein Klacks!“
„Stimmt“, kicherte Vivi.
„Das schaffst sogar du. – Solange du nichts durcheinanderbringst.“
Oje! Linni lief auf der Stelle himbeerrot an. Im Durcheinanderbringen war sie ganz groß und im Vergessen auch. Fast so groß wie im Herzenswünschehören.
Angestrengt starrte sie in ihre Kladde.
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Das hatte Herr Engelbert darin in seiner schnörkeligen Schrift notiert. Herr Engelbert war ein sehr alter Wunschelf. Er bewohnte die größte Wolke mit der Nummer 333 und war tagaus, tagein mit seinem hauchzarten Fangnetz unterwegs. Seine Aufgabe bestand darin, herumschwirrende Wünsche einzusammeln und an die vielen emsigen Wunschfeen zu verteilen.
Linni las sich die Liste dreimal durch, dann schloss sie die Augen und sagte die Wünsche auswendig auf.
Das klappte sehr gut.
Linni vergaß nichts
und sie brachte auch nichts durcheinander.
Ungefähr zur gleichen Zeit saß Sarah im Wohnzimmer am Esstisch und malte an dem Bild, das sie für die Zeichenstunde am nächsten Montag fertigstellen sollte. Ihr Vater hatte es sich auf dem Sofa vor dem Fernseher bequem gemacht und schaute sich die Sportschau an. Ihre Mutter hatte bis gerade eben noch mit Opa telefoniert. Nun kam sie ins Wohnzimmer und warf ihrer Tochter einen mahnenden Blick zu. „Du sitzt ja immer noch hier!“
Sarah zuckte mit den Schultern. Sie spülte die grüne Farbe aus und tunkte den Pinsel in die lilafarbene.
Lila war Sarahs Lieblingsfarbe.
„Ich male noch“, sagte sie.
„Das sehe ich“, erwiderte ihre Mutter.
Sie trat an den Tisch heran
und bewunderte das Bild.
„Was für eine hübsche Blumenwiese! Die ist wirklich sehr schön geworden“, sagte sie. „Herrn Knusewitz gefällt sie bestimmt auch.“
„Sie ist doch noch gar nicht fertig“, meinte Sarah und malte ein paar lila Glockenblumen zwischen die roten Tulpen und die gelben Margeriten.
„Ach, das macht nichts“, sagte ihre Mutter. „Du hast ja noch das ganze Wochenende Zeit dafür.“
Sarah schüttelte den Kopf. „Hab ich nicht.“
„Es ist aber schon spät“, entgegnete Frau Winkler.
„Also pack jetzt bitte die Sachen zusammen und mach dich bettfertig.“
„Hast du überhaupt schon neue Zahnpasta gekauft?“, fragte Sarah.
„Das mache ich morgen“, sagte ihre
Mutter. „Heute war im Büro so viel los, da hatte ich keine Lust mehr zum Einkaufen.“
„Aber die Glitzerzahncreme ist leer“, erwiderte Sarah, während sie mit einem weißen Buntstift Schleierkraut in die Blumenwiese tüpfelte.
„Wenn du die Tube gut ausdrückst,
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