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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Stille zurückgezogen; und wenn auch zuletzt nichts gegen ihn vorgelegen hätte, als daß er der Freund von dem Mörder Maurizius gewesen, das genügte, damit war er erledigt, das genügte . . .
    »Wo ist er also jetzt?« forschte Etzel mit sachlicher Beharrlichkeit. Maurizius tat, als habe er nicht verstanden. Es schien, als zögere er an diesem Punkt, sich in die Karten blicken zu lassen. Scheu musterte er den Knaben von oben bis unten. Dann flüsterte er: »Das ist mein Geheimnis, und wenn ich's Ihnen jetzt verrate, bleibt's unser Geheimnis: Hand darauf . . .« Gott mag wissen, was er sich von dem »Geheimnis« versprach; aber Etzel reichte ihm bekräftigend die Hand. Er fuhr fort, immer noch zögernd, vor eindreiviertel Jahren habe er in Erfahrung gebracht, Waremme halte sich in Berlin auf. Unter verändertem Namen. Mit großen Schwierigkeiten sei es seinem Vertrauensmann, einem gewiegten Praktikus, der ihn massenhaft Geld koste, gelungen, ihn zu agnoszieren. Es sei nur dadurch möglich gewesen, daß man insgeheim und in größter Vorsicht seinen Weg zurückverfolgt habe bis nach Chikago, wo er elf Jahre lang gewohnt habe, von 1910 bis 1921. Man habe nach langem Suchen, durch Vermittlung eines dortigen Detektivinstituts, einige Personen stellig machen können, die von der Namensänderung wußten und ihn unter seinem früheren Namen auch in Neuyork, Pittsburg und Kansas City gekannt. Mit alledem sei aber leider Gottes nichts Rechtes anzufangen. Natürlich müsse man ihn im Auge behalten, man könne nicht wissen, was passiere; falls irgendwas passiere, sei es gut, daß man ihn gleich hoppnehmen könne; aber was solle denn passieren, wie die Dinge stünden; sei verdammt wenig Aussicht zum Hoppnehmen, dem Menschen sei nichts anzuhaben, von allen Seiten sei er gedeckt, habe nichts zu fürchten, wenigstens von ihm nichts, von P. P. Maurizius nichts, von Leonhart schon gar nichts, nein, da sei nichts zu hoffen, wenn er nicht sonst was auf dem Kerbholz habe, und ein so gerissener Hund verstünde wohl, sich davor zu hüten, sei eben nicht an ihn heranzukommen. Aufpassen, ja, das sei nötig, damit man jeden Moment zugreifen könne, dafür eben habe er seinen Mann, und der wieder habe seine Leute auf dem Posten, im übrigen heiße es abwarten. Der Alte starrte düster in den Regen. Täuschte sich Etzel oder vernahm er wirklich ein hölzernes, ersticktes Schluchzen, keinem Laut, den er irgendwann gehört, ähnlich? »Und Sie waren bei ihm?« fragte er in einer erstaunlichen Eingebung. Die Frage hatte sich ihm nur deshalb aufgedrängt, weil der Alte seit Beginn des Gesprächs bestrebt gewesen war, sie zu verhindern. Er fuhr auch erschrocken zusammen, sein Gesicht wurde tonig, verstockt blieb er die Antwort schuldig. »Und was geschah da?« forschte Etzel anscheinend harmlos und sah Maurizius freundlich an. Der verweigerte noch immer die Antwort, bis ihm Etzel leise die Hand vor die Brust legte. »War 'ne blamable Eselei«, brachte der Alte endlich hart hervor; »was sollt ich denn? was wollt ich denn? Hatte keine Ruhe, bevor ich ihn Aug in Aug sah. Na, da ging ich denn hin. Privatlehrer nennt er sich. Steht auch so im Wohnungsanzeiger. Privatlehrer Georg Warschauer. Usedomstraße Ecke Jasmunder Straße. Im ersten Stock ist ein Speisehaus. Frau Bobikes Mittagstisch, steht angeschrieben. Da nimmt er seine Mahlzeiten. Braucht nichts dafür zu zahlen, weil er den zwei Söhnen der Frau Bobike Stunden gibt. Im dritten Stock wohnt er. Da kommen seine Schüler zu ihm. Auch andere Leute. Unterrichtet Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch, Portugiesisch, verfaßt Nekrologe, Eingesandtes an Zeitungen, Geschäftsreklamen und so. Da ging ich denn hin. Und da sah ich ihn denn. Da stand ich auf meinen zwei Beinen und dachte: Ach, Herr Jesus. Und als er mich anschaute, sagte ich: Mir scheint, ich bin fehlgegangen. Drehte mich um und ging und fuhr gleich auf die Bahn und wieder heim, vierzehn Stunden hintereinander. Da war nichts zu reden. Überhaupt. Was soll man da reden? Wie soll man die Sache deichseln? Womit anfangen? Und wenn er einen die Treppe hinunterwirft, was dann? Einschüchtern kann man den nicht. Und sag ich ein unvorsichtiges Wort, so verderb ich alles mit einem Schlag, und er verduftet mir wieder. Nicht mal meinen Namen hab ich genannt. Da war auch nicht die Möglichkeit, ihn zu bedeuten: Mann, Mensch, oder so, was einem halt auf der Seele gebrannt hat, all die Jahre. Das sah ich zu spät ein. Heiliger Jesus, nein . .

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