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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Wassermann
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Notizheft, schrieb darauf: Bobike, Usedom-Jasmunder Straße, und verbarg es unter dem Deckel seiner Taschenuhr.
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    Etzel war über die praktische Ausführbarkeit seines Vorhabens schon im reinen, als er sich über dessen moralische Berechtigung, sozusagen über die theoretische Seite, mit Dr. Raff zu verständigen suchte. Camill Raff wartete auf die Annäherung Etzels. Als dieser eines Vormittags telephonisch fragte, ob er gegen elf Uhr kommen dürfe, hielt er es jedoch für passend, das Zusammensein auf eine spätere Stunde zu verlegen, um etwas weniger bereitwillig zu erscheinen. Auch bestellte er ihn nicht zu sich, was ohnehin nicht recht anging, weil seine junge Frau bettlägerig war, sondern in die Miquelstraße, an einen bestimmten Platz beim Palmengarten. Als er den Knaben auf sich zueilen sah, es war Punkt halb vier, wie sie verabredet, spürte er erst, wie gern er ihn hatte. Welche Gewalt des Fragens in den funkelnden Augen! Fragt einer so, dann bin ich ein Idiot, wenn ich mir einbilde, ich könne ihm antworten, dachte er, und er ein liebenswürdiger Heuchler, wenn er so tut, als brächt ihm die Antwort Gewinn. Camill Raff wußte vieles von den jungen Menschen, deren Führung ihm anvertraut war. Leider war es keine Führerschaft, die ihn zu befriedigen vermochte, was Halbes nur, weil so viel Winkelzügigkeit und Vorschrift von oben her lähmte, so viel Verklauselung und Mißtrauen von den zu Führenden kam, daß die Zeit vielleicht nicht fern war, wo sich auch bei ihm der Rost ins Getriebe fraß. Bis jetzt war er noch nicht im pädagogischen Dogma eingefroren, war noch kein pfäffischer Unfehlbarkeitsmann. Er hatte Phantasie; wer Phantasie hat, empfängt stets, wenn er gibt, und wirbt, wo er lehrt. Da brauchte er dann nicht wie manche älteren Kollegen, die »mit der Zeit« gehen wollten, während sie in heimlicher Wut hinter ihr herkeuchten, den Verdacht der Augendienerei zu fürchten; ihm glaubte man die Zugehörigkeit, weil er auch den Mut hatte, sich von allem Zweideutigen und Verlogenen klipp und klar zu scheiden. Es fehlte ihm nur eines: der widerstandsfähige Körper. Er hatte zarte Nerven, war keiner Anstrengung gewachsen, und in den sonnenlosen Wintermonaten schlich er wie ein Schatten herum, verstimmt und arbeitsunlustig.
    Schon lange gehörte Etzel Andergast zu den wenigen Bevorzugten, mit denen er persönlichen Umgang pflog. Manche Naturen haben einen Glanz wie frischpolierter Stahl, der eben aus Gottes Schmiede hervorgegangen ist. Sie gefallen durch ihre Neuheit und außerdem durch eine Art sublimer Zweckmäßigkeit, als ob mit ihnen etwas ganz Bestimmtes erreicht werden sollte. Das »Neue« an Etzel war ihm erst vor kurzem bewußt geworden. Es war etwa einen Monat her, daß er mit ihm eine Erörterung über ein peinliches Vorkommnis gehabt hatte. Karl Zehnter, der Sohn eines bankrotten Kaufmanns, hatte während der Turnstunde aus Etzels Jacke, die unter zahlreichen andern Kleidungsstücken hing, einen Fünfmarkschein entwendet. Es kam rasch heraus, der dicke Klaus Mohl hatte nämlich den Dieb beobachtet, und man fand alsbald das Geld in seiner Tasche. Anzeige war die Folge, und Zehntner wurde von der Schule relegiert. Etzel ging tagelang mit nagenden Skrupeln herum. Er hatte Zehntner ganz gut leiden können, er hielt ihn nicht für schlecht (»nicht für schlechter als die Mehrzahl von uns«, wie er zu Robert Thielemann etwas schneidend äußerte), auch waren seine Eltern, wie man später erfuhr, in einer verzweifelten Lage. Er fand, daß er nicht gleich hätte Lärm schlagen müssen, daß man es unter sich hätte ausmachen, dem leichtsinnigen Jungen im Rat der Kameraden eine empfindliche Buße hätte zudiktieren können, ohne seine Zukunft zu vernichten. Er fragte Camill Raff geradezu, ob er sich richtig benommen habe. Raff erwiderte, er könne nicht sehen, wie er sich anders hätte benehmen sollen, das angedeutete Schülergericht hätte schließlich nur zu Unzuträglichkeiten geführt. Dabei ließ er die Bemerkung fallen: »Sie müssen sich in acht nehmen, Andergast. Gewisse Lebensvorgänge werden durch einen zu ausgiebigen Gefühlsanteil verflacht. Gefühl ist eine Walzmaschine, es macht alles breit und weich.« Etzel stutzte. Das Wort erinnerte an die Leitsätze von Trismegistos und wirkte, von dieser Seite gehört, überraschend. Er sah sich entschieden verkannt. Das war nicht seine Gefahr. Er bildete sich ein, eher sei das Gegenteil seine Gefahr. Er schüttelte den Kopf und sprach nicht

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