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Der Falsche Krieg

Titel: Der Falsche Krieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Olivier Roy
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Eskalation mitmachen, die ihren eigenen Interessen zuwiderläuft, selbst wenn sie annehmen, dass sie von der Krise um den Iran profitieren, weil sie nun höher pokern können. Umgekehrt würde es für die Amerikaner unmöglich, sich aus dem Irak zurückzuziehen, weil der noch tiefer im Bürgerkrieg versinken würde. Die Angriffe der Taliban in Afghanistan würden zunehmen, da die pakistanische Regierung der bis zur Weißglut erzürnten öffentlichen Meinung entgegenkommen müsste und den islamischen Militantismus auf die afghanische Sache lenken würde. Im Libanon und in Palästina würden Entscheidungen fällig, denen man von Anfang an ausgewichen ist: Entweder führt man einen Krieg mit ungewissem Ausgang gegen die Hisbollah und die Hamas, oder der Libanon wird neu geordnet unter der Führung der Hisbollah, die auf ein Bündnis mit dem Iran verzichtet, und unter Einbeziehung der Hamas, die nie von einem ausländischen Bündnis abhängig war.
     
    Der Iran ist daher heute der Schlüssel zur Lage im Mittleren Osten. Allerdings besteht die Gefahr, dass weder der Iran noch Saudi-Arabien die Kräfte kontrollieren
können, an deren Freisetzung beide ihren Anteil hatten. Die panislamistische Radikalisierung und die Spaltung zwischen Schiiten und Sunniten können nicht mit Strategien, die auf der Ebene von Staaten ansetzen, oder durch die Rückkehr zu einer Realpolitik, wie sie der Baker-Bericht propagiert, kontrolliert werden. Dennoch gibt es gegenwärtig keine andere Möglichkeit, als dass man versucht, die Konflikte zu entzerren, etwa indem die Hisbollah an der Seite Syriens in regionale Gespräche mit einbezogen wird und indem man Verhandlungen mit der Hamas aufnimmt. Entweder gelingt es, den Iran durch Militärschläge sowie energisches Vorgehen gegen schiitische Aktivisten im Irak zu isolieren (wobei ein Erfolg keineswegs gewiss ist), oder man verhandelt mit dem Iran. Voraussetzung dafür sind Fortschritte in den israelisch-palästinensischen Beziehungen, damit der Iran sich nicht mehr auf die »Ablehnungsfront« stützen kann. Unabhängig von den Absichten der Akteure, ob gut oder schlecht, hat die Realität vor Ort (israelische Siedlungen, Bürgerkrieg bei den Palästinensern) heutzutage die Zwei-Staaten-Theorie (ein israelischer und ein palästinensischer Staat) überholt. In jedem Fall muss jedoch das Konzept eines weltweiten Krieges gegen den Terrorismus aufgegeben werden.

VIERTES KAPITEL
    Und unterdessen Al Qaida …

    Während die Amerikaner sich immer tiefer im Irak verstricken, gedeiht Al Qaida. Die westlichen Staaten haben einige Zeit gebraucht, um zu begreifen, wie Al Qaida wirklich funktioniert. Denn sie beharrten darauf - und viele tun es bis heute -, in Al Qaida eine territorialisierte Organisation des Mittleren Ostens zu sehen, die vorwiegend Araber anzieht, mit dem Ziel, Christen und Juden aus dem Mittleren Osten zu vertreiben und dort dâr ul islam, das Land des Islam, im Zeichen eines Kalifats zu errichten. Das ganze Arsenal der gelehrten Literatur des klassischen Islam und die Werke radikaler Denker des 20. Jahrhunderts wie Said Qutb werden herangezogen, um Al Qaida zu verstehen. Aber ein solches Vorgehen kann bloß noch die Vergangenheit erhellen.
    Erst mit den Anschlägen in London im Juli 2005 geriet das Phänomen des home-grown terrorism , das heißt eines hausgemachten, im Westen entstandenen Terrorismus, ins Blickfeld, ohne dass man daraus Konsequenzen zog, weil die entsprechenden terroristischen Vereinigungen noch zu oft als radikale Avantgarde der muslimischen Gemeinschaft im Allgemeinen definiert werden. Die Debatte konzentriert sich deshalb auf den Zusammenhang zwischen dem »muslimischen Zorn« (muslim wrath) und dem Terrorismus: Entweder betrachtet man die Gewalt als die verzweifelte Reaktion auf einen zugleich territorialen und kulturellen Angriff
des Westens, oder man sieht in ihr die Avantgarde eines Islam, der per definitionem auf Eroberung und Dschihad ausgerichtet ist.
    Doch Al Qaida ist, wie ich in meinem Buch Der islamische Weg nach Westen gezeigt habe, ihrem Wesen nach eine entterritorialisierte, globale Organisation, die relativ losgelöst von den Problemen des Mittleren Ostens agiert, keine Wurzeln in der Bevölkerung der muslimischen Staaten hat und ihre Anhänger vor allem unter marginalisierten »wiedergeborenen Muslimen« rekrutiert. »Marginalisiert« ist hier nicht im soziologischen Sinn gemeint. Die radikalen Al-Qaida-Anhänger sind »ent-territorialisiert«: Ihr

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