1371 - Das Erbe der Toten
Zwar stand ich nicht im Freien und ließ mich nass regnen, dafür hockte ich in meinem Rover, parkte damit in einer Gasse, die von der Inner Temple Lane abzweigte, und wollte zunächst mal diesen heftigen Regen abwarten. Es war ja kein normaler Landregen, sondern einer, der aus den Wolken platzte. Ich sah keine Tropfen. Was da aus den Wolken rauschte, klatschte mit großer Wucht gegen das Auto, prasselte gegen die Scheiben und überschwemmte sie so mit Wasser, dass es mir unmöglich war, etwas zu erkennen, weil sich die Einzelheiten in meiner Umgebung einfach aufgelöst hatten. Es gab nur noch die strömenden Fluten, die sich auf dem Erdboden sammelten und sich einen Weg suchten hin zu den Gullys, wo sie gurgelnd und rauschend verschwanden.
Hätte jemand neben mir gesessen, wäre es mir kaum möglich gewesen, mich mit ihm zu unterhalten, so laut waren die Geräusche.
In meiner Umgebung schienen sich zahlreiche Drummer zu befinden, die mit ihren Trommelstöcken gegen das Blech schlugen.
Dabei lag mein Ziel nicht weit entfernt. Es war die alte Kirche der Tempelritter hier in London, die ich schon kannte, und zu der es wirklich nicht mehr weit war. Ich musste nur das Gewirr der Gassen hinter mir lassen, um den kreisrunden Bau zu erreichen, nur nicht bei diesem verdammten Wetter.
Der Mann, den ich dort treffen wollte, würde sich bestimmt verspäten, falls er nicht schon da war. Wenn er sich in der Kirche aufhielt, war es ebenfalls nicht tragisch. Die Mauern und das Dach schützten ihn vor der Nässe.
Warten auf den Lichtblick. Was sich am Himmel abspielte, war für mich jedenfalls nicht zu erkennen. Ich schaffte es überhaupt nicht, einen Blick in die Höhe zu werfen. Die Scheibe war für mich undurchlässig geworden.
Warten!
Mehr konnte ich nicht tun. Mich meinen Gedanken hingeben und beobachten, wie das Wasser in Strömen an den Scheiben herablief und sich mit der Strömung auf dem Boden vereinigte.
Etwas Helles zuckte über den Himmel. Zuerst fast waagerecht, dann sackte es ab. Eine dünne, scharf geschnittene Linie, die schließlich von dem Unwetter gefressen wurde. Der nachfolgende Donner ging im Prasseln des Regens unter.
Ein Gewitter. Ausgerechnet jetzt. Ich schüttelte den Kopf. Mir blieb auch nichts erspart. Gleichzeitig dachte ich darüber nach, ob es sich auch lohnte, den Mann zu treffen, von dem ich nur den Namen kannte. Er hieß Mike Curtiz und arbeitete bei einer Bank. Das hatte ich erfahren. In welch einem Zusammenhang er allerdings mit den Templern stand, war mir nicht bekannt. Irgendetwas musste schon dran sein, sonst hätte er sich nicht diesen Treffpunkt ausgesucht.
Ich war von ihm angerufen worden. Wir hatten nur wenige Sätze gesprochen, aber ich hatte deutlich die Spannung aus seiner Stimme herausgehört. Dieser Mensch stand möglicherweise unter einem starken Druck. Er besaß sicherlich Informationen, die er loswerden musste.
Wieder blitzte es. Für einen Moment durchdrang die fahle Helligkeit auch die Düsternis des Regens. Ich sah in meiner Umgebung die Mauern der alten Bauten und auch die Bäume, deren Kronen durch den heftigen Wind geschüttelt wurden.
Für diese kurze Zeitspanne erhielt die Umgebung ein gespenstisches Aussehen, das irgendwie auch zu der geheimnisvollen Kirche passte, die 1185 von Heraklius, dem Patriarchen von Jerusalem, geweiht worden und erst 1940 durch Brandbomben zerstört worden war. Danach war sie wieder originalgetreu aufgebaut worden. Sie war ein Schmuckstück, nur der kastenförmige Anbau an der Seite passte einfach nicht.
In der Kirche waren die Grabplatten in den Boden eingelassen.
Unter ihnen waren Tempelritter begraben. Sie lagen dort schon über lange Jahrhunderte hinweg, doch wer die Kirche betrat, der erlebte den Schauer der Geschichte. Dann konnte der Besucher das Gefühl haben, nicht mehr allein zu sein. Er fühlte sich von den Geistern der Toten beobachtet, die ihn als unsichtbare Wesen umkreisten.
Man konnte die Kirche lieben, man konnte sie wegen ihrer anderen Bauweise ablehnen, jedenfalls war sie etwas Besonderes und würde nicht abgeschlossen sein, wie man mir versichert hatte.
Viel lieber hätte ich mich jetzt am Flughafen aufgehalten, um Glenda Perkins abzuholen. Unserer Assistentin kehrte aus Rumänien zurück. Allerdings auf einem anderen Weg als sie hingereist war.
Da war sie durch ihre neuen Kräfte hingebeamt worden. Da sie diese nicht selbst kontrollieren konnte, musste sie auf die normale Reiseform zurückgreifen und würde
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