Der falsche Zeuge
Pizzaschachteln auf dem Fußboden.
Es gibt zwei Schlafzimmer.
Das größere ist aufgeräumt. Ein gemachtes Bett. Eine dunkelblaue Tagesdecke über dem Plumeau. Nichts liegt auf dem Nachttisch. Dicke Gardinen sind vor das Fenster gezogen.
Das andere Schlafzimmer ist das totale Gegenteil.
Die Bettdecke liegt zusammengeknüllt auf dem Bett. Ein neuer Discman auf dem Nachttisch. Alle möglichen Sachen liegen auf dem Boden verstreut: Mädchenkleidung, ausländische Zeitschriften, CDs.
Hier war eben noch jemand gewesen. Kein Zweifel.
Aber jetzt schient die Wohnung völlig verlassen zu sein.
Allerdings sieht sie sowieso nicht wie ein richtiges Zuhause aus. Eher ein Zwischenstopp.
Alles ist so unpersönlich wie in einem Hotelzimmer.
Alles klar. Die gute Tat des Jahres ist erledigt.
Ich gehe wieder zur Wohnungstür. Mache das Licht aus. Ich habe die Tür schon geöffnet, als ich einen Lichtschein durch ein Schlüsselloch sehe. Schließe die Tür wieder. Warte einen Moment in der Dämmerung.
Das muss die Tür zum Badezimmer sein. Und da drin ist Licht an. Ich gehe schnell auf die Tür zu. Nehme den Türknauf in die Hand. Es ist abgeschlossen. Ich klopfe laut ein paar Mal.
»Mach sofort auf!«, rufe ich.
Keine Antwort.
Ich beuge mich hinunter. Zwinkere mit den Augen. Versuche im Gegenlicht etwas zu erkennen.
Verdammt!
Der Schlüssel steckt von innen im Schlüsselloch.
Ich klopfe wieder. Rufe erneut. Bemerke keine Reaktionen aus dem Inneren des Badezimmers. Zögere. Überlege.
Aber nicht lange.
Fische mein Handy aus der Tasche. Rufe Gréta an. Frage ohne große Vorreden, ob es irgendwo in der Wohnung einen Zweitschlüssel zum Bad gibt.
Die Antwort lautet nein.
»Dann muss ich die Tür aufbrechen.«
Ich gebe Gréta keine Möglichkeit zu protestieren und beende schnell das Gespräch.
Dann bringe ich mich vor der Badezimmertür in Position. Atme tief ein. Lege alle meine Kraft in den rechten Fuß und trete mit Karacho direkt unter dem Schloss auf die Tür.
Beim zweiten Versuch gibt das Schloss nach.
Verdammte Scheiße!
Meine schlimmsten Befürchtungen waren tatsächlich begründet.
Ein junges, dunkelhaariges Mädchen liegt nackt in der Badewanne. Sie ist bleich. Wie eine Leiche. Hat die Augen geschlossen.
Ich beuge mich über sie. Ihre Wangen fühlen sich kalt an. Die Hände auch. Ich halte das eine Handgelenk fest. Versuche, den Puls zu finden.
Vielleicht eine Chance.
Vielleicht auch nicht.
Sobald ich das Telefonat mit dem Notruf beendet habe, tauche ich meine Arme in das eiskalte Badewasser ein und nehme das Mädchen auf den Arm. Sie ist klein und leicht.
Ich bringe sie schnell in das kleinere Schlafzimmer. Wickle die Bettdecke fest um den nackten Körper. Warte dann ungeduldig auf den Krankenwagen.
Das Haar fällt in feuchten Strähnen über das Gesicht. Ich streiche die schwarzen Locken vorsichtig aus der Stirn und von den Wangen. Betrachte das weiße Gesicht genauer. Und fluche immer wieder vor mich hin.
Das ist doch noch ein Kind!
3
Margrét steht in ihrer Wohnungstür, als die Jungs vom Krankenwagen mit der Bahre den langen Gang entlanglaufen.
Die Frau von nebenan. Ihr Name steht mit großen Buchstaben unter der Klingel.
Wir gucken uns an.
»Bekam er einen Herzinfarkt?«, fragt sie neugierig.
»Wer?«
»Na, der Ausländer, der die Wohnung von Gréta gemietet hat! Das war er doch, oder nicht?«
Man sieht deutlich die grauen Strähnen im dunklen Haar. Sie geht wahrscheinlich schon auf die Rente zu.
Margrét ist klein und ziemlich dicklich um Hüften und Bauch. In einem engen Kleid, in dem die zusätzlichen Kilos noch besser zur Geltung kommen.
Ich komme näher. »Kanntest du ihn gut?«, frage ich.
»Nein, nein, ich habe ihn nur kommen und gehen sehen, aber er lächelte mir immer zu, wenn wir uns auf dem Gang trafen oder zusammen im Aufzug fuhren. Das ist hier ziemlich selten.«
»Weißt du, wer bei ihm gewohnt hat?«
»Er hatte oft irgendwelche Frauen bei sich, aber die wechselten ständig und blieben nie lange, wie mir scheint. Und alle waren auch viel jünger als er, manche waren sehr jung. Ab und zu kamen auch Jungen, aber ich habe das nicht so genau verfolgt, ich habe genug anderes zu tun, aber ich fand es richtig, Gréta wissen zu lassen, dass die Nachbarn angefangen haben, sich über den Lärm da drin zu beschweren. Sie war immer so herzlich mir gegenüber, und wenn du in einem Hochhaus wohnst, stiftet so was gleich Unfrieden.«
»Meinst du den Lärm?«
»Ja, es war doch
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