Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man
sogar mit Karte dürften Sie sich nicht hier hinten aufhalten. Ich begleite Sie vor das Zelt.«
Er drängte sie zum Haupteingang hinaus, wo mittlerweile Kartenkontrolleure standen. Draußen hielt sie inne und deutete über seine Schulter hinweg auf einen Wagen, an dem ein Schild hing: Kasse. »Bekomme ich dort die Karten?«
Er lächelte sie spöttisch an. »Dafür ist eine Kasse im Allgemeinen da. Aber wir sind ausverkauft, wie ich schon sagte. Falls Sie Mr. Kadesky etwas fragen möchten, wenden Sie sich bitte an seine Firma.«
Nachdem er gegangen war, wartete Kara kurz ab, umrundete dann das Zelt, steuerte auf der Rückseite den Bühneneingang an und lächelte dem Wachmann dort zu. Er lächelte zurück und warf nur einen flüchtigen Blick auf ihren Gürtel, an dem der Angestelltenausweis des Frankokanadiers hing. Es war ihr ein Leichtes gewesen, ihm den Pass abzunehmen, während sie mit der anderen Hand auf den Kassenwagen gezeigt und die törichte, aber recht ablenkende Frage nach dem Kartenverkauf gestellt hatte.
Das wird dir hoffentlich eine Lehre sein, dachte sie: Leg dich niemals mit einem Taschenspieler an.
Nun befand sie sich abermals hinter der Bühne. Sie verbarg den Ausweis in ihrer Tasche und fand eine etwas entgegenkommendere Mitarbeiterin. Die Frau hieß Katherine Tunney und nickte freundlich, als Kara ihr Anliegen erläuterte – dass ein wegen Mordes gesuchter ehemaliger Illusionist als jemand identifiziert worden sei, mit dem Mr. Kadesky vor langer Zeit zusammengearbeitet habe. Die Assistentin hatte von den Morden gehört und lud Kara ein, so lange zu warten, bis der Produzent vom Abendessen zurückkehrte. Sie gab Kara eine Karte für eine der VIP-Logen und versprach, die Wachleute anzuweisen, Mr. Kadesky zu ihr zu schicken, sobald er eintraf. Dann entschuldigte sie sich und machte sich wieder an die Arbeit.
Auf dem Weg zu ihrem Platz meldete Karas Pager sich mit lautem Piepton.
Sie keuchte auf, als sie die Nummer sah. Dann rannte sie zu einigen Münzfernsprechern, die man vorübergehend neben dem Zelt aufgestellt hatte, und drückte mit zitternder Hand die Tasten.
»Stuyvesant Manor«, meldete sich eine Stimme.
»Jaynene Williams, bitte.«
Die Wartezeit erschien ihr wie eine Ewigkeit.
»Hallo?«
»Ich bin’s. Kara. Ist mit Mum alles in Ordnung?«
»Oh, es geht ihr gut, Kleines. Ich wollte Sie nur gleich informieren. Machen Sie sich keine großen Hoffnungen, es hat vielleicht nichts zu bedeuten – aber sie ist vor ein paar Minuten aufgewacht und hat nach Ihnen gefragt. Sie weiß, dass es Sonntagabend ist, und sie erinnert sich daran, dass Sie vorhin bei ihr gewesen sind.«
»Sie hat nach
mir
gefragt, wirklich nach
mir
?«
»Ja, sie hat Ihren richtigen Namen genannt. Dann hat sie auf ihre typische Art die Stirn gerunzelt und gesagt: ›Es sei denn, sie benutzt nur noch diesen dämlichen Künstlernamen, Kara.‹«
Mein Gott… War sie tatsächlich wieder zu sich gekommen?
»Mich hat sie auch erkannt, und sie hat gefragt, wo Sie seien, denn sie wolle Ihnen etwas sagen.«
Karas Herzschlag beschleunigte sich.
Sie will mir etwas sagen…
»Kommen Sie lieber bald her, Schätzchen. Es hält vielleicht an. Vielleicht aber auch nicht. Sie wissen ja, wie das läuft.«
»Ich muss erst noch was erledigen, Jaynene. Ich komme so schnell ich kann.«
Sie legten auf, und Kara lief hektisch zurück zu ihrem Sitzplatz. Die Anspannung war unerträglich. Genau in diesem Augenblick erkundigte ihre Mutter sich womöglich, wo denn die Tochter blieb. Und wenn dann niemand da war, würde sie enttäuscht das Gesicht verziehen.
Bitte, betete Kara und hielt erneut nach Kadesky Ausschau.
Nichts.
Sie wünschte, sie könnte mit einem Zauberstab das abgenutzte Metallgeländer vor ihr berühren, auf den Eingang zeigen und den Produzenten aus dem Nichts erscheinen lassen.
Bitte, dachte sie abermals und richtete den imaginären Zauberstab auf den Durchgang.
Bitte…
Im ersten Moment tat sich nichts. Dann traten mehrere Personen ein. Leider war keine von ihnen Kadesky. Es handelte sich lediglich um drei Frauen in mittelalterlichen Gewändern und mit Masken, deren traurige Mienen so gar nicht zu dem schwungvollen Gang der Darstellerinnen passten, die ihrem abendlichen Auftritt entgegenfieberten.
Roland Bell stand an der Centre Street zwischen dem hoch aufragenden Justizgebäude, dessen zwei Türme in luftiger Höhe durch die Seufzerbrücke verbunden waren, und dem unscheinbaren Bürobau gegenüber.
Es gab
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