Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man
Plastik, Schweiß und Metall.
»ESU Vier, seid ihr so weit? Kommen.«
»Roger. Kommen«, erwiderte einer der Männer.
»Okay, dann…«
In diesem Moment hallten gedämpft mehrere Schüsse durch die Straßenschlucht.
Bell zuckte zusammen.
»Da schießt jemand!«, rief Charles Grady. »Ich habe Schüsse gehört! Sind Sie verletzt?«
»Unten bleiben«, sagte Bell und ging neben ihm in die Hocke. Er wirbelte herum, hob die Waffe und musterte angestrengt die Fassade des gegenüberliegenden Bürogebäudes.
Hektisch zählte er die Fenster ab.
»Ich hab seinen Standort«, rief er ins Funkgerät. »Zweiter Stock, fünftes Büro vom Nordende des Gebäudes.« Dann sah er genauer hin. »Autsch.«
»Bitte wiederholen. Kommen«, bat einer der Kollegen.
»Ich sagte ›Autsch‹.«
»Äh. Roger. Ende.«
»Was ist denn da los?«, fragte Grady und wollte sich aufrichten.
»Nicht bewegen«, befahl der Detective, erhob sich vorsichtig aus der Deckung und suchte die nähere Umgebung ab. Vielleicht lauerten hier noch weitere Schützen. Kurz darauf hielt ein gepanzertes Fahrzeug des Sondereinsatzkommandos vor ihnen. Fünf Sekunden später saßen Bell und Grady im Innern. Mit quietschenden Reifen entfernte der Wagen sich vom Ort des versuchten Anschlags und brachte den Staatsanwalt zurück zur Upper East Side und zu seiner Familie.
Als Bell sich umdrehte, sah er mehrere ESU-Beamte in das Bürogebäude laufen.
Mach dir keine Sorgen… Er wird uns finden.
Tja, und genau so war es gekommen.
Das besagte Behördengebäude, so hatte Bell sich ausgerechnet, bot für ein Attentat auf Grady das beste Schussfeld. Dabei würde der Täter vermutlich in eines der unteren Büros einbrechen, relativ dicht über dem Gehweg. Das Dach war eher unwahrscheinlich, weil es von zahllosen Videokameras überwacht wurde. Bell hatte sich dort draußen selbst als Köder angeboten, denn seit dem früheren Einsatz in dem Gebäude wusste er etwas, das ansonsten kaum öffentlich bekannt war: Wie bei vielen der neueren Behördenbauten konnten die Fenster nicht geöffnet werden und bestanden zum Schutz vor Bombenanschlägen aus Panzerglas.
Natürlich hatte ein gewisses Risiko bestanden, dass der Schütze Spezialmunition benutzen würde, mit der sich die zweieinhalb Zentimeter dicken Scheiben durchdringen ließen, doch Bell kannte auch das Sprichwort, dass Gott ohnehin keine Garantien gab.
Also hatte er versucht, den Attentäter zum Schuss zu verleiten, und gehofft, dass die Kugel die Form eines Spinnennetzes auf dem Verbundglas erscheinen lassen und den Standort des Mannes preisgeben würde.
Und sein Plan hatte funktioniert – wenngleich mit einem zusätzlichen Nebeneffekt, der Bell sofort aufgefallen war.
Autsch…
»ESU Vier an Bell. Haumann hier. Sie hatten Recht. Kommen.«
»Reden Sie weiter. Kommen.«
»Wir sind drinnen«, fuhr der Einsatzleiter fort. »Der Schauplatz ist gesichert. Wie nennt man diese Preise doch gleich? Die Darwin Awards? Sie wissen schon – wenn jemand sich durch eigene Dummheit ans Messer liefert. Kommen.«
»Genau, Darwin Awards«, bestätigte Bell. »Wo hat er sich selbst getroffen? Kommen.«
Bell hatte den Standort des Schützen nicht dank der Risse im Glas erkannt, sondern aufgrund eines großen Blutspritzers an der Scheibe. Der ESU-Leiter erklärte, dass die Kupfermantelgeschosse, die der Mann auf Bell abgefeuert hatte, als Querschläger vom Glas abgeprallt seien und den Attentäter an einem halben Dutzend Stellen getroffen hätten, so beispielsweise in der Leistengegend, wo offenbar eine große Arterie oder Vene verletzt worden sei. Als das ESU-Team das Büro erreicht habe, sei der Mann bereits verblutet gewesen.
»Bitte sagen Sie mir, dass es Weir ist. Kommen.«
»Nein, tut mir Leid. Es ist jemand namens Hobbs Wentworth, wohnhaft in Canton Falls.«
Bell verzog missmutig das Gesicht. Demnach hielten Weir und eventuelle Komplizen sich weiterhin in der Nähe auf. »Haben Sie etwas gefunden, das uns einen Hinweis auf Weirs Pläne oder sein Versteck geben könnte?«, fragte er.
»Negativ«, antwortete der Einsatzleiter mit rauer Stimme. »Nur seinen Ausweis. Und allen Ernstes ein Buch mit Bibelgeschichten für Kinder.« Er hielt kurz inne. »Ich sag’s wirklich nicht gern, Roland, aber es gibt noch ein weiteres Opfer. Wie es aussieht, hat er eine Frau getötet, um ins Gebäude zu gelangen… Okay, wir riegeln alles ab und suchen weiter nach Weir. Ende.«
Der Detective schüttelte den Kopf. »Von ihm fehlt immer
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