Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man
Verstärkung und nehmen in Kauf, dass er flieht? Manchmal ist es das Risiko wert und manchmal nicht. Aber falls Lincoln sich letztlich für die Operation entscheidet, stehe ich hinter ihm. So läuft das bei uns.«
Dann erzählte Sachs, dass Rhyme sich schon mehrfach Reizstrombehandlungen unterzogen hatte, um die Muskeln zu stimulieren, und unter Anleitung von Thom und einigen Physiotherapeuten Übungsprogramme absolvierte – die gleichen Übungen, die auch bei dem Schauspieler Christopher Reeve zu beachtlichen Resultaten geführt hatten. »Reeve ist ein toller Mann mit unglaublichem Durchhaltevermögen«, sagte Sachs. »Lincoln ist genauso. Er redet nicht viel darüber, aber hin und wieder verdrückt er sich einfach, zieht mit Thom und den Physiotherapeuten sein Training durch, und ich höre ein paar Tage nichts von ihm.«
»Auch so eine Art Verschwundener, was?«, fragte die junge Frau.
»Ja«, sagte Sachs und lächelte. Sie schwiegen für einen Moment, und Amelia fragte sich, ob Kara wohl mehr über die Beziehung zu Lincoln hören wollte. Wie man die offensichtlichen Schwierigkeiten überwand oder welche Probleme das Dasein eines Querschnittsgelähmten mit sich brachte. Wie die Leute reagierten, wenn sie beide in der Öffentlichkeit unterwegs waren. Womöglich sogar einen Hinweis auf die Art ihres Intimlebens. Doch falls Kara neugierig war, ließ sie es sich nicht anmerken. Stattdessen meinte Sachs bei der jungen Frau so etwas wie Neid zu spüren.
»Ich hatte mit Männern in letzter Zeit nicht so viel Glück«, sagte Kara.
»Kein Verehrer?«
»Ich bin mir nicht sicher«, erwiderte sie nachdenklich. »Zum letzten Mal gesehen haben wir uns bei French Toast und Mimosen. Bei mir zu Hause. Ein Brunch im Bett. Sehr romantisch. Er hat gesagt, er würde mich am nächsten Tag anrufen.«
»Und es kam kein Anruf.«
»Kein Anruf. Ach, vielleicht sollte ich noch anfügen, dass der besagte Brunch vor drei Wochen stattgefunden hat.«
»Haben Sie ihn angerufen?«
»Das kommt überhaupt nicht in Frage«, stellte sie fest. »Die Initiative liegt bei ihm.«
»Gut für Sie.« Sachs wusste, dass Stolz und Kraft zwei Seiten derselben Medaille waren.
Kara lachte. »Es gibt da einen alten Zaubertrick von William Ellsworth Robinson, der früher ziemlich populär war. Die Nummer hieß
Wie man eine Ehefrau loswird oder Die Scheidungsmaschine
.« Sie lachte erneut. »Fast wie bei mir. Ich kann Verehrer schneller verschwinden lassen als jede andere.«
»Nun ja, bisweilen lösen sie sich ganz von selbst in Luft auf«, sagte Sachs.
»Die meisten Kerle, die ich kennen lerne – sowohl früher als freiberufliche Redakteurin als auch heutzutage im Laden –, wollen eines von zwei Dingen. Entweder einen One-Night-Stand oder das exakte Gegenteil – eine feste Beziehung mit anschließender Heirat und einem Häuschen außerhalb der Stadt… Sind Sie von einem Mann schon mal so richtig unter Druck gesetzt worden?«
»Na klar«, sagte Sachs. »Das kann ziemlich unangenehm sein. Je nach Verehrer, natürlich.«
»Sie sagen’s, Schwester. Entweder eine schnelle Nummer oder das volle Programm inklusive Heim und Herd… und beides behagt mir nicht. Ich will weder das eine noch das andere. Na ja, zu einer kurzen Affäre hier und da lasse ich mich trotzdem noch hinreißen. Man sollte schon realistisch bleiben.«
»Was ist mit den Männern aus der Branche?«
»Ah, Ihnen ist also aufgefallen, dass ich diese Jungs bewusst ausgespart habe. Andere Zauberkünstler… nein, davon lasse ich lieber die Finger. Zu viele Interessenkonflikte. Die meisten von ihnen behaupten zwar, sie hätten was für starke Frauen übrig, doch in Wahrheit wäre ihnen am liebsten, wir würden aus dem Metier verschwinden. Auf hundert Männer kam bei uns früher ungefähr eine Frau. Mittlerweile ist es ein wenig besser. Oh, es gibt durchaus berühmte weibliche Illusionisten. Prinzessin Tenko zum Beispiel, eine asiatische Künstlerin, ist brillant. Da sind noch ein paar andere, aber erst seit kurzem. Vor zwanzig oder dreißig Jahren waren Frauen niemals die Stars, nur die Assistentinnen.« Sie warf Sachs einen Blick zu. »Ähnlich wie bei der Polizei, oder?«
»Es ist längst nicht mehr so schlimm wie früher. Nicht für meine Generation. Die Sechziger und Siebziger – das war die Zeit, in der die Frauen den Durchbruch geschafft haben, die wirklich harte Phase. Aber ich habe auch noch so einiges abbekommen. Bevor ich zur Spurensicherung kam, war ich ein Plattfuß
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