Der faule Henker - Deaver, J: Faule Henker - The Vanished Man
und…«
»Ein was?«
»Ein Plattfuß ist ein Streifenbeamter. Immer wenn es nach Hell’s Kitchen in Midtown ging, wurde den Frauen ein erfahrener männlicher Cop zur Seite gestellt. Manchmal bekam ich einen Macho ab, der es hasste, mit einer Frau losgeschickt zu werden. Er hasste es einfach. Während der kompletten Schicht sprach er kein einziges Wort mit mir. Acht Stunden lang zu Fuß die Straßen rauf und wieder runter, und der Typ kriegte den Mund nicht auf. Mittags haben wir uns mit einem Zehn-dreiundsechzig zur Pause abgemeldet, und dann saß ich da und versuchte, nett zu sein, und er hockte einen halben Meter entfernt, las den Sportteil und seufzte, weil er seine Zeit mit einer Frau verschwenden musste.« Die Erinnerungen kamen zurück. »Ich arbeitete damals im Haus Sieben-fünf…«
»Dem was?«
»Dem Revier«, erklärte Sachs. »Bei uns heißen sie ›Häuser‹. Und die meisten Polizisten nennen es nicht das Fünfundsiebzigste, sondern betonen die einzelnen Ziffern, also Sieben-fünf oder Siebzig-fünf. So wie man sagen würde, Macy’s liegt an der Drei-vier-Straße.«
»Okay.«
»Wie dem auch sei, unser üblicher Schichtführer war im Urlaub, und wir hatten vorübergehend einen Sergeant der alten Schule. Es war einer meiner ersten Tage im Sieben-fünf und ich die einzige Frau in dieser speziellen Schicht. Als ich zur Befehlsausgabe in den Besprechungsraum kam, hingen vorn am Stehpult ein Dutzend Tampons.«
»Nein!«
»Allen Ernstes. Der normale Schichtführer hätte das niemals durchgehen lassen, aber Cops sind in vielerlei Hinsicht wie kleine Kinder. Sie tollen so lange herum, bis ein Erwachsener ihnen Grenzen setzt.«
»In den Spielfilmen kommt so etwas nie vor.«
»Filme werden in Hollywood gedreht, nicht im Sieben-fünf.«
»Was haben Sie gemacht? Wegen der Tampons, meine ich.«
»Ich bin zur vordersten Reihe gegangen und habe den Kollegen direkt vor dem Pult gefragt, ob er mir seinen Platz überlassen würde – ich wollte ohnehin dort sitzen. Die Jungs sind in dermaßen schallendes Gelächter ausgebrochen, dass einige von ihnen sich fast in die Hose gepinkelt haben. Nun ja, ich habe mich hingesetzt und einfach angefangen, mir Notizen zu den Instruktionen des Sergeants zu machen – Sie wissen schon, offene Haftbefehle, Spannungen unter den Einwohnern des Bezirks und Straßenecken, an denen bekanntermaßen Drogen verkauft wurden. Etwa zwei Minuten später hat niemand mehr gelacht. Die ganze Sache wurde peinlich. Nicht für mich. Für die anderen.«
»Wissen Sie, wer dafür verantwortlich war?«
»Na klar.«
»Haben Sie ihn gemeldet?«
»Nein. Sehen Sie, das ist der schwierigste Teil, wenn man als Frau bei der Polizei ist. Man muss mit diesen Leuten zusammenarbeiten. Man braucht ihre Unterstützung und Rückendeckung. Natürlich kann man voll auf Konfrontationskurs gehen, aber dann hat man eigentlich schon verloren. Das ist keine Frage des Mutes. Man sollte wissen, wann ein Kampf sich lohnt und wann man die Sache lieber auf sich beruhen lässt.«
Stolz und Kraft…
»Wie bei uns, schätze ich. In meiner Branche. Wenn man als Frau gut ist und Zuschauer anlockt, bekommt man ein Engagement. Allerdings hat die Sache einen Haken. Man kann nicht beweisen, dass man ausreichend Publikum bringt, solange man nicht engagiert ist, und man wird nicht engagiert, solange man nicht die Zahl der verkauften Eintrittskarten steigert.«
Sie näherten sich dem gewaltigen leuchtenden Zelt, und Sachs sah, wie Karas Gesicht bei diesem Anblick erstrahlte.
»Würden Sie gern an einem Ort wie diesem arbeiten?«
»O Mann, das können Sie laut sagen. Das hier ist meine Vorstellung vom Himmel. Der Cirque Fantastique und Fernsehspecials.« Sie ließ den Blick in die Runde schweifen. »Mr. Balzac bringt mir all die alten Nummern bei, und das ist wichtig – man muss sie blind beherrschen. Aber das…«, sie nickte in Richtung des Zeltes, »…das ist die Richtung, in die wir uns weiterentwickeln. David Copperfield. David Blaine… Performancekunst, Taschenspielertricks. Zauberhaft und sexy.«
»Sie sollten sich hier bewerben.«
»Ich? Sie machen Witze«, entgegnete Kara. »Ich bin noch nicht mal annähernd so weit. Man muss perfekt sein, um hier zu arbeiten. Man muss die Beste sein.«
»Besser als ein Mann, meinen Sie?«
»Nein, besser als
jeder andere
, ob nun Mann oder Frau.«
»Warum?«
»Für das Publikum«, erklärte Kara. »Mr. Balzac betont es immer wieder: Du bist es dem
Publikum
schuldig. Jeder
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