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Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Akunin
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also genauso groß wie das Geschöpf, um das ich mich sorgte.
    In jenem Augenblick wurde ich fast zum Unmenschen. Von animalischer Wut getrieben, ließ mich mein Verstand im Stich. Ich vermute, dass mein Mund sogar etwas wie Gebrüll ausstieß und ich die Zähne bleckte. Und ich schwor mir, wenn deine Überreste in jenem Sack wären, als Erstes zur Station zurückzukehren und Maslow zu töten und dann Jeremej Metastasio zu suchen und ebenfalls zu töten. Ich wusste ja noch nicht, dass der Italiener nicht der Große Magier ist!
    Oh, wie brüchig der Käfig ist, in den Verstand und Würde das wilde Raubtier sperren, das in unserer Seele lauert! Ich hätte mich beinah in ein Ungeheuer verwandelt!«
    Bei diesen Worten erschauerte Vondorin und verstummte.
    »Und was war dann?«, fragte Mitja und trieb ihn zur Eile an. »Habt Ihr ihn eingeholt und ihm eins über den Schädel gegeben?«
    »Warum ohne Not Gewalt anwenden? Obwohl ich völlig fassungslos war, wusste ich doch noch, dass der Mann mit dem Namen Dron Rykalow sich bisher mir gegenüber nichts zuschulden hatte kommen lassen. Warum sollte ich es da nicht mit guten Worten versuchen?
    Ich näherte mich ihm und schrie: › Ich habe zufällig das Gespräch mit Eurem Herrn mitangehört! Stimmt es, dass Ihr die Leiche eines Knaben begraben lassen wollt? ‹
    Dron wunderte sich über mein Erscheinen und noch mehr über die Frage, witterte aber nichts Gefährliches dahinter und antwortete: › Ja. Aber das ist eine geheime Angelegenheit, also seid so freundlich und sagt es nicht weiter.«
    › Ob Ihr mir diesen Körper nicht verkaufen könntet?«, erkundigte ich mich.
    Er brachte die Pferde zum Stehen und starrte mich entgeistert an. › Was willst du denn damit?«, fragte er.
    › Ich bin Arzt und brauche dringend Material für anatomische Studien. Ich bin bereit, mir die Sache etwas kosten zu lassen.«
    › Wenn ich den Körper verkaufe, was soll ich denn dann in das Grab legen?«
    Aha, denke ich. Es sieht so aus, als würden wir uns einig. › Ihr müsst den Sack ja sowieso nicht aufschnüren. Schüttet doch statt des Toten einfach Erde oder Reisig hinein. Dann habt Ihr das Geld, und ich kriege, was ich brauche.«
    Freund Dron schwankte. › Der Knabe soll ganz verbrannt sein. Was wollt Ihr denn mit dem verkohlten Zeug?«
    › Damit kann ich nichts anfangen. Ich brauche das Knochengerüst, das ist doch bestimmt nicht ganz verbrannt, oder?«
    All das zehrte so an meinen Nerven, dass ich mit meiner Geduld am Ende war. Ich dachte, wenn du noch weiter Schwierigkeiten machst, stoße ich dich vom Schlitten, dann hast du gar nichts.
    Da fragte Rykalow: › Wie viel seid Ihr denn bereit zu zahlen?«
    › Zehn Tscherwonzen.«
    Er hätte vor Freude fast einen Luftsprung gemacht, ließ es sich aber nicht anmerken und sagte Stattdessen: › Mein General, das ist ein ganz Harter. Wenn das rauskommt, bin ich mit Sicherheit ein toter Mann. ‹
    › Wie soll das denn rauskommen? Die vergraben einen Sack und fertig. Na gut, zwanzig Tscherwonzen? ‹
    Und für zwanzig Goldtaler hat er dich also an mich verkauft. Da wird doch oft geklagt, dass in Russland viel gestohlen wird und jeder Beamte ein Bestechungsgeld nimmt. Ich habe mich selber oft darüber geärgert. Aber wenn man einmal nachdenkt: Was ist denn eigentlich Schmiergeld in einem Land, in dem die Gesetze unvollendet sind und die Freiheit nicht respektiert wird? Die Vermenschlichung der Unmenschlichkeit. Wo in den gesetzlichen Bestimmungen keine Vernunft herrscht, da bildet sich prompt eine Überbrückungsmöglichkeit in Form eines netten kleinen Geschenks heraus und gleicht diese Unverhältnismäßigkeit aus. Ohne diese Schmiere wären die trockenen und groben Mühlsteine, auf denen die Zirkulation unserer Gesellschaft beruht, längst geplatzt und auseinander gebrochen. Du wirst sagen, das ist aber ungerecht. Einverstanden. Aber Geld ist leidenschaftsloser als menschliche Willkür und Gewalt, denn . . .«
    »Daniel Ilarionowitsch!«, flehte Mitja. »Schweift doch nicht immer ab! Wie ging es denn nun weiter? Und woher hattet Ihr denn die zwanzig Tscherwonzen?«
    »Woher? Von dir geliehen. Hast du das vergessen? Ich bin also zu dem Sack gegangen, wollte die Schnüre lösen, aber, ob du’s glaubst oder nicht, meine Hände zitterten wie verrückt. Da war nichts zu machen. Dron wartete erst und sagte dann: › Nehmt doch alles zusammen. Wenn wir den Sack aufmachen, stinkt es womöglich nach versengtem Fleisch, das kann ich nicht leiden.

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