Der Federmann
Teddy im Arm, aber er schlief nicht. Er hielt die Augen geschlossen, doch seine Lider flackerten.
Zeit, zur Arbeit zu gehen, Verbrechen zu bekämpfen. Höchste Zeit, die Angst zu besiegen.
Coralie Schendel erwachte mit einem Lächeln auf den Lippen. In letzter Zeit schlief sie besonders gut, tief und erholsam, vergnügt schwang sie sich aus dem Bett und zog die Vorhänge auf. Die Straßenbäume waren jetzt endlich wieder dicht belaubt, der Frühling hatte Einzug gehalten, es war die schönste Jahreszeit in Berlin, wie sie fand. Sie rechnete im Kopf nach, wann Achim wieder in der Stadt wäre.
Nur noch eine Woche, stellte sie erfreut fest, ging ins Bad, drehte die Wasserhähne auf, zog sich das Nachthemd über den Kopf und duschte heiß und ausgiebig.
Achim war der Richtige, davon war sie überzeugt, noch nie hatte sie sich bei einem Mann so sicher und geborgen gefühlt wie bei ihm. Er war nicht der wilde Typ Mann und vielleicht auch nicht der beste Liebhaber, aber er war verlässlich, hatte ein großes Herz, und wenn er erst einmal sein Jurastudium abgeschlossen hätte und anständig verdienen würde, könnte sie sich durchaus vorstellen, ihn zu heiraten und Kinder mit ihm zu haben.
Aber natürlich würden sie erst einmal zusammenziehen. Schon bald, dachte sie und malte sich eine große, schöne Wohnung aus, ein Schlafzimmer, ein Wohnzimmer, zwei Zimmer für die Kinder, eine geräumige Küche und ein
großes Bad. Vielleicht sogar ein Arbeitszimmer für Achim, wenn er abends noch Akten studieren musste.
Als Coralie sich die Zähne putzte, legte sich mit einem Mal ihre Stirn in Falten, sie erinnerte sich an einen Fetzen aus ihrem Traum der vergangenen Nacht. Der hatte eigentlich nur aus einer Abfolge von undeutlichen Bildern bestanden, die sie nicht mehr rekonstruieren konnte, jedoch hatte ihr jemand ein paar Worte zugeraunt, und diese Worte hallten plötzlich heftig in ihr nach. Dabei fiel ihr ein, dass es etwas war, woran sie in ihrer Kindheit häufig gedacht, was sie aber nie laut auszusprechen gewagt hatte, als sei es etwas Bösartiges, das Wirklichkeit werden könnte, wenn es einem erst einmal über die Lippen geglitten war:
»Eines Morgens erwachen wir ahnungslos, und es ist der letzte Tag in unserem Leben.«
Sie spuckte den Zahnpastaschaum aus.
Schon kurz darauf konnte sie wieder lächeln. Natürlich sprach aus dem Satz eine bittere Wahrheit, aber das Gute daran war doch, dass niemand den Zeitpunkt seines Todes voraussagen konnte. Und die Wahrscheinlichkeit zu sterben war in ihrem Alter nicht besonders hoch, immerhin war sie erst Mitte zwanzig.
Ich bin jung und einigermaßen hübsch, dachte sie und begann ihr dichtes blondes Haar zu föhnen.
»Dein Haar ist ein Wunder«, hatte Achim einmal zu ihr gesagt. Sie zwinkerte ihrem Spiegelbild zu. Achim war verrückt nach ihr, und in einer Woche wäre er endlich wieder da.
Coralie wählte sorgsam die Kleidung aus ihrem Schrank aus, zog sich an, setzte den Kaffee auf und sah zur Uhr. Sie musste sich beeilen, um pünktlich ins Büro zu kommen.
Die merkwürdige Stimme aus ihrem Traum hatte sie längst wieder vergessen.
Trojan sog die würzige Morgenluft ein, unter die sich ein strenges Aroma aus den Mülltonnen im Hof mischte. Er löste das Schloss, wuchtete sein Fahrrad durch die enge Tür ins Treppenhaus und durch die Vorderhaustür wieder hinaus, schwang sich auf den Sattel und fuhr los.
Beinahe jeden Tag legte er die Strecke von Kreuzberg nach Tiergarten mit dem Rad zurück, nur für nächtliche Einsätze benutzte er noch seinen alten Golf. Er liebte es, morgens am Ufer entlangzufahren, oben die Hochbahn, unten der Landwehrkanal und der Himmel über ihm hell und weit, das machte ihn wach, so kam er in Schwung. Er nahm Tempo auf, für gewöhnlich schaffte er die Strecke in einer halben Stunde, manchmal sogar in zwanzig Minuten. Am Technikmuseum baumelte die alte Propellermaschine an ihren Stahlseilen, und die Waggons der U-Bahn quietschten in der Kurve vorm Gleisdreieck, schon tauchten die Hochhäuser vom Potsdamer Platz auf, er passierte die Neue Nationalgalerie, erreichte den Lützowplatz und bog kurz vor der Urania in die Kurfürstenstraße ein. Von dort aus waren es nur noch ein paar hundert Meter bis zum Landeskriminalamt in der Kathargostraße, einer ruhigen Seitenstraße nahe am Tiergarten.
Trojan schloss sein Fahrrad vorm Dienstgebäude ab. Mit seinen wuchtigen, sandfarbenen Natursteinen erinnerte es an eine alte Trutzburg, so eine hatte
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