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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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teuer erstanden, sie müßten in Ordnung sein. Er hatte alles genau geplant. In den ersten Jahren waren sie von Staat zu Staat gezogen, so daß ihre Spuren schwer zu verfolgen waren. Andererseits entnahm er den Medien, daß im ganzen Land eine Verhaftungswelle im Gange war. Er hielt die Bestätigungen ihrer Staatsbürgerschaft in der Hand. Sie hatten viel Geld gekostet. Zwei korrupte Anwälte hatten sie beschafft. Er hatte ihr weiteres Tun im Internet verfolgt. Der eine war vor einigen Jahren an Krebs gestorben, aber der andere lebte noch. Vuk sah ihn noch vor sich, in der Nebenstraße eines Slumviertels in Miami, in dem nur Spanisch gesprochen wurde. Der Anwalt war ein kleiner, fetter Kerl mit buschigem Schnurrbart und einem Hemdkragen, der vor Schmutz ganz streifig war. An jedem Finger trug er einen Goldring, der sich tief ins Fett eingrub. Er war das schwache Glied in der Kette. Er verdingte sich dem Meistbietenden. Er würde sie für Dollars verkaufen, so wie er ihnen für Dollars neue Identitäten verkauft hatte. Es könnte notwendig werden, diese Option aus der Welt zu schaffen. Ihm fiel auf, daß es nun Vuk war, der so dachte. Es waren Worte aus einer andern Zeit, die eine solche Handlung zu einer wohlüberlegten, kühlen Tat machten und nicht zu einem Mord. Option! Als ginge es darum, ob man irgendeine Aktie kaufen sollte oder nicht!
    Er ging wieder auf die Terrasse und setzte sich. Sein Herz schlug schneller als normal, und seine Handflächen waren feucht. In den letzten Jahren hatte er die Gesichter der Toten vergessen oder verdrängen können. Selbst in den Träumen hatten ihn die bleichen Gespenster immer seltener heimgesucht. Es schien ihm tatsächlich gelungen zu sein, diesen Abschnitt seines Lebens wegzuschließen. Plötzlich mußte er an einen Lehrer denken, den er als Schüler in Dänemark gehabt hatte. Der hatte gesagt, das Gewissen stecke in einem wie eine scharf geschliffene Kurbel. Mit der Zeit könne sie stumpf werden, so daß sie sich drehe und drehe, ohne daß das Gewissen schmerze. Seine mußte rund sein wie ein Stein, den die Wellen des Meeres seit Millionen Jahren geschliffen hatten. Jedenfalls merkte er es nicht, wenn sie sich drehte. Wieder hatte er ein Gefühl in der Brust, als könnte er nicht mehr atmen. Nun erschienen ihm Lea, Vater und Mutter. Zuerst das fröhliche Gesicht der Schwester und die Mutter, die sich über die Suppe beugt, und dann ihre blutigen Leiber und seine eigene blutbesudelte Hand, die wieder und wieder das Messer auf den letzten muslimischen Täter niedersausen läßt.
    Er stand auf und ließ den Blick über die friedliche, langweilige Gartenstadt schweifen, um die Schreckensphantasien und Dämonen zu verjagen. Sie durften nicht wiederkommen. Die Phantome der Vergangenheit mußte man sich vom Leibe halten. Er wollte sich weiterhin wie alle anderen Amerikaner verhalten, die überhaupt keine Reaktion zeigten, wenn irgendein dahergelaufener Talkmaster bloß das Wort »Serbien« aussprach. Das war alles vorbei. Großserbien war tot und würde nie wiederauferstehen. Es war von vornherein eine kranke Idee gewesen, aber es war die moralische Krücke, auf die er und die anderen sich stützten, wenn sie das Blut an ihren Händen erklären mußten. Die großserbische Idee hatte ihm über die Qualen der militärischen Ausbildung hinweggeholfen, bis sie wie eine Blase zerplatzte, als sein Kommandant ihn aufforderte, für Geld zu töten. Das war der endgültige Beweis dafür, daß alles, woran er geglaubt hatte, Lug und Trug gewesen war.
    Er ging in die Küche und trank zwei Glas Wasser. Dann sah er sich noch einmal in Ruhe das Foto an, das im Fernsehen gezeigt worden war, und versuchte sich zu erinnern, wo er den Mann im Hintergrund schon einmal gesehen hatte. Langsam dämmerte es ihm. Es war in Berlin. Vor acht Jahren. Damals hatte der Mann lange Haare und einen Bart gehabt. Vielleicht war er Bosnier, vielleicht Araber, aber auf jeden Fall ein Verräter, und Vuks Auftrag lautete, ihm den Garaus zu machen. Ihn zu liquidieren. Allein das Wort. Ihn zu töten, bevor er der Sache noch mehr schaden konnte. Daraus wurde nichts, aber Vuk hatte ihn ausspioniert und seinen Tagesablauf und seine Bewegungsmuster studiert. Daran erinnerte er sich wieder, aber der Name, der fiel ihm nicht mehr ein, sosehr er sich auch anstrengte, auch die Adresse nicht, die er damals zu überwachen hatte. Nur daß der Gebäudekomplex im Osten Berlins lag, nicht weit von der alten Grenze, wo nur wenige

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