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Der Feind im Spiegel

Der Feind im Spiegel

Titel: Der Feind im Spiegel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leif Davidsen
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um seine Taille. Tränen standen ihr in den Augen.
    »Wo warst du?« sagte sie und spürte, wie sich sein Körper versteifte.
    »Ich hab was erledigt«, sagte er.
    Sie legte den Kopf an seine Schulter und flüsterte: »Werde nicht wieder zu Vuk, hörst du? Es darf kein Zurück geben.«
    Er gab keine Antwort, sondern sah über ihre Schulter hinweg durch die offenstehende Tür ins Haus. Die fröhlichen Stimmen der Kinder hörte er wie aus weiter Ferne, als wäre er gar nicht recht anwesend. Er spürte ihren Körper an seinem, empfand aber weder Lust noch sonst irgendwas. War das die alte Kälte? Was er am meisten fürchtete, war, daß ihm die Fähigkeit zu fühlen wieder abhanden kommen könnte.
    »Es wird schon gehen«, sagte er.
    »Ich sehe es an deinen Augen. Dieser Blick von früher ist wieder da.«
    »Ich dachte, du liebst Vuk.«
    »Das habe ich auch mal getan, aber jetzt liebe ich John.«
    Er machte sich frei.
    »Wird schon gehen. Alles kommt wieder in Ordnung. Glaub mir.«

4
    Drei Wochen waren seit dem Anschlag auf das WTC vergangen, tröpfchenweise kehrten die Gäste in Tom’s Lodge zurück, aber an dem Morgen, an dem John Ericsson endlich seine Arbeit wieder aufnehmen sollte, hielt Sheriff Joe Davis mit einem Kollegen in dem großen Streifenwagen vor dem Haus. Das Fahrzeug hatte dieselbe beige Wüstenfarbe wie die Polizeiuniformen. Im Haus war wieder Ruhe eingekehrt, aber die heimlichen Blicke, die Anna ihm zuwarf, wenn sie sich unbeobachtet wähnte, zeigten ihm, daß ihr die Situation noch immer nicht ganz geheuer war. Er wußte, sie mußte stets daran denken, daß unter seiner amerikanischen Oberfläche ein anderer Mensch wohnte, den zu begraben ihnen nicht gelungen war.
    Die Sonne brannte schon, aber die Luft duftete rein und verströmte das würzige Aroma der nahen Wüste. Er sah dem Sheriff entgegen. Joe Davis war ein großer und schlanker jüngerer Mann, der vor einem Jahr die Wahl zum Sheriff mit dem Versprechen gewonnen hatte, nach etlichen Jahren, in denen ein fauler, halbkorrupter Vorgänger am Ruder gewesen war, endlich für Ordnung zu sorgen. Er stand für Erneuerung, hielt aber an der Tradition fest. Zitate aus der Bibel waren bei ihm nicht selten, und sein Wahlslogan hatte geheißen: Auge um Auge, Zahn um Zahn . Mit Gott und Gesetz. John kannte ihn gut. Sie hatten eine Weile zusammen in der Wüste gearbeitet, ehe Joe sich entschlossen hatte, für die Sheriffwahl zu kandidieren. Er war nicht besonders helle, hatte aber einen ausgeprägten, freilich nicht gerade anspruchsvollen Gerechtigkeitssinn. Verbrecher gehörten in den Knast. Am besten so lange wie möglich. Er war unbestechlich und erweckte sofort bei allen Vertrauen und hatte die Wahl mit einer soliden Mehrheit für sich entschieden. Sein Kollege war ebenfalls jung und hatte einen kleinen Oberlippenbart. John kannte ihn nicht. Er hielt sich ein wenig hinter dem Sheriff und verbarg seine Augen hinter einer dunklen Sonnenbrille.
    »Morgen, Sheriff!« sagte John. Er stand in der Tür, Anna und die Kinder hinter ihm. Als die Zwillinge den schweren Revolver, den Knüppel und die Handschellen sahen, wurden ihre Augen immer größer.
    »Morgen, John. Mrs. Ericsson«, sagte Joe Davis und tippte mit dem Finger an die breite Krempe seines Stetsons.
    »Kann ich dich einen Augenblick sprechen, John?«
    »Weswegen?« fragte Anna.
    »John?«
    »Natürlich.«
    John ging ihm zwei Schritte entgegen.
    »Ich muß dich bitten, mit aufs Revier zu kommen«, sagte Joe. »Tut mir leid, aber es läßt sich nicht ändern.«
    »Bin ich verhaftet?«
    »Nein, wenn du einfach mitkommst.«
    »Ich möchte keine Handschellen vor meinen Kindern.«
    »Das dürfte auch nicht nötig sein. Wir sind alte Freunde. Hauptsache, du kommst mit, ohne Ärger zu machen.«
    »Und warum?«
    »Routine. Tom ist ein guter Patriot und hat seine Angestellten überprüft, worum ja alle Arbeitgeber gebeten wurden, und es sieht so aus, als gäbe es irgendeine Unregelmäßigkeit mit deiner Krankenversicherungsnummer.«
    »Das muß ein Mißverständnis sein.«
    »Bestimmt. Aber wir sind gezwungen, dem nachzugehen. Wir befinden uns im Krieg, sagt der Präsident. Und er sagt, wir müssen zusammenhalten, und das tun wir dann auch.«
    »Ich komme natürlich mit. Ist doch klar. Ich wollte gerade zur Arbeit. Darf ich noch auf Wiedersehen sagen, oder haben wir’s so eilig?«
    Joe Davis lächelte nicht.
    »So eilig haben wir’s nicht«, sagte er.
    John drehte sich zu Anna um. Er zwang sich zur Ruhe,

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