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Der Findling

Der Findling

Titel: Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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angelegt, wenn die Erkrankten ins Hospital übergeführt waren. Da standen die Namen in gothischer Schrift, die Nummern in arabischen Ziffern, die Medicamente in Rundschrift und die Vorschriften in englischem Ductus – alles eingefaßt mit zierlichen Klammern in blauer Tinte und an gewissen Stellen schwarz doppelt unterstrichen, ein Muster von Kalligraphie und Uebersichtlichkeit.
    »Einige von diesen Kindern sind ernstlich erkrankt, bemerkte noch der Arzt. Achten Sie darauf, daß sie sich bei der Ueberführung nicht erkälten.
    – Gewiß, ich werde schon dafür Sorge tragen, antwortete O’Bodkins. gleichgiltig. Sind sie nicht mehr hier, so bin ich ihrer ledig. Wenn dann nur meine Buchführung in Ordnung ist….
    – Na, und wenn sie ihrer Krankheit erliegen, unterbrach ihn der Doctor, schon nach Hut und Stock fassend, ist der Verlust, mein’ ich, auch nicht so arg….
    – Gewiß nicht, stimmte O’Bodkins zu. Ich schreibe sie dann in die Rubrik der Verstorbenen ein und ihr Conto wird abgeschlossen. Ist das aber geschehen, so hat niemand mehr Ursache sich zu beklagen.«
    Mit einem Händedrucke verabschiedete sich der Arzt des Hauses.
    O’Bodkins war der Director der »
Ragged-School
« von Galway, einer Kleinstadt an der Bai und in der Grafschaft gleichen Namens, im Südwesten der Provinz Connaught. Nur hier dürfen die Katholiken Grundeigenthum besitzen, und hierher (und nach Munster) befleißigt sich England, das nicht protestantische Irland zurückzudrängen.
    Man kennt die Art Leute wie O’Bodkins ja zur Genüge; auch er verdient kaum unter die liebevollen Vertreter der Menschheit gerechnet zu werden. Er ist ein untersetzter Mann, einer jener Cölibatäre, die weder eine Jugend gehabt haben, noch ein Alter haben werden, die sich immer gleich bleiben und Haare haben, die weder ausfallen noch ergrauen, die mit goldener Brille, welche man ihnen im Grabe am Besten läßt, schon auf die Welt gekommen sind, die keine Nahrungs-, keine Familiensorgen kennen, ausreichend haben, was sie bedürfen, und deren Herz von zarteren Empfindungen niemals bewegt worden ist. Er gehört zu den, weder guten noch schlechten Geschöpfen, die ihre irdische Laufbahn vollenden, ohne je etwas Gutes oder Böses gethan zu haben, und die niemals unglücklich sind… nicht einmal über das Unglück andrer.
    O’Bodkins war also wie von Natur zum Director einer Lumpenschule geschaffen.
    Wir haben bereits gesehen, mit welch’ erstaunlicher Sorgfalt, welch’ peinlicher Abwägung des Soll und Haben die Bücher des Mannes geführt waren. Im Hause standen ihm übrigens die bejahrte Mutter Kriß, an deren Munde stets die Tabakspfeife hing, und ein älterer Pensionär, namens Grip, helfend zur Seite. Letzterer, ein armer Teufel mit gutmüthigen Augen, einem gewissen Ausdruck von Fröhlichkeit in den Zügen und einer für den Irländer charakteristischen, etwas aufgebogenen Nase, war unendlich mehr werth als Dreiviertel der elenden Kreaturen, die in dieser Art Schulhospiz Aufnahme gefunden hatten.
    Diese Bewohner des Hauses waren Waisen oder verlassene Kinder, die ihre Eltern meist gar nicht gekannt hatten. Am Bachesrand oder am Feldrain geboren, auf Straßen oder Landwegen aufgelesen, kehrten sie nach Erreichung des arbeitsfähigen Alters auch dahin zurück… ein Ausschuß der menschlichen Gesellschaft. Doch was konnte aus zwischen Pflastersteinen verstreutem Samenkorn für andre Frucht wohl erwachsen?
    In der Schule von Galway befanden sich deren etwa dreißig im Alter von drei bis zu zwölf Jahren, alle in Lumpen gehüllt und immer hungrig, da sie sich nur von der öffentlichen Mildthätigkeit ernährten. Mehrere davon waren immer krank, und diese Kinder schnellten die Sterblichkeit des Ortes nicht unwesentlich in die Höhe – freilich »kein arger Verlust«, nach Aussage des Arztes
    Er hat ja damit nicht ganz Unrecht, wenn keine Erziehung im Stande ist, jene zu verhindern, einst Uebelthäter zu werden. Und doch wohnt eine Seele auch unter diesen zerfetzten Hüllen, und bei besserer Methode gelänge es vielleicht, so manchen zum Guten zu lenken. Jedenfalls wäre zur Erziehung und Heranbildung solcher Unglücklichen ein andrer Lehrer nöthig, als jener Hampelmann O’Bodkins, ein Lehrer, wie man solche selbst in den dürftigsten Gemeinden Irlands nicht gar so selten antrifft.
    Der »Findling« war einer der jüngsten in dieser
Ragged-School
. Er zählte jetzt kaum vierundeinhalb Jahre. Armes Kind! Es hätte an seiner Stirn die trostlose

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