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Der Findling

Der Findling

Titel: Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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wiederholten die Zuschauer.
    Jetzt ging in der Empfindung der Leute eine mächtige Veränderung vor sich.
    Nicht Neugier, sondern Theilnahme war es, die sich in ihrer drohenden Haltung kundgab. Ein Kind war in diesem an der Seite offenen Kasten verborgen und wurde mit der Peitsche angetrieben, wenn es anhielt, weil ihm die Kräfte erlahmten, sich in seinem Käfig zu bewegen.
    »Das Kind!… Das Kind heraus!« klang es von allen Seiten.
    Thornpipe sah sich einer Uebermacht gegenüber. Er wollte jedoch Widerstand leisten und seinen Karren vorwärts schieben…. Vergeblich. Der Schlächter packte ihn an der einen, der Droguist an der andern Seite und so wurde das Gefährt tüchtig geschüttelt. Der königliche Hof dürfte wohl niemals einen solchen Verlauf seiner Feierlichkeiten erlebt haben, bei dem die Prinzen die Prinzessinnen stießen, die Herzöge die Marquis umrannten, der Premierminister hinfiel und einen Sturz des ganzen Cabinets damit herbeiführte… kurz, ein Durcheinander, wie es im Schlosse Osborne gewiß nur vorkäme, wenn ein Erdbeben die ganze Insel Wight erschütterte.
    Thornpipe wurde bald überwältigt, wenn er sich auch wie ein Rasender wehrte. Alle betheiligten sich dabei. Der Karren wurde untersucht, der Droguist kroch zwischen die Räder und zog aus dem Kasten ein Kind hervor….
    Ja, ein Jüngelchen von etwa drei Jahren mit bleichem, leidendem Gesicht, mühsamem Athem und mit Beinchen, die mit Striemen überdeckt waren.
    Kein Mensch in Westport kannte den Kleinen.
    So gestaltete sich das erste Erscheinen des »Findlings«, des Helden dieser Erzählung. Wie er diesem Wütherich in die Hände gefallen und wer sein Vater wäre, das war schwerlich zu ergründen. In Wahrheit hatte Thornpipe das Kind vor neun Monaten in der Dorfstraße von Donegal aufgelesen und zu dem nun erkannten Dienste verwendet.
    Eine wackre Frau nahm das Bürschchen in die Arme und sachte es aufzumuntern. Alle drängten sich um den Kleinen. Das arme Eichkätzchen, das verurtheilt gewesen war, seinen Käfig unter dem Karrenkasten in Drehung zu versetzen, hatte ein interessantes, ja intelligentes Gesicht; aber auf diese Weise sich den Unterhalt verdienen zu müssen – und in so zartem Alter!
    Endlich öffnete der kleine Knabe die Augen und warf sich rückwärts, als er Thornpipe gewahrte, der herantrat und mit der Aufforderung: »Gebt mir den Jungen zurück!« ihn wiederzuerlangen sachte.
     

    … Ein Jüngelchen von etwa drei Jahren. (S. 23.)
     
    »Seid Ihr sein Vater? fragte der Geistliche.
    – Ja…, antwortete Thornpipe hastig.
    – Nein… das ist mein Papa nicht! rief weinend das Kind, das sich der Frau anschmiegte.
    – Er gehört Euch gar nicht an! wetterte der Droguist.
    – Ein gestohlener Bursche ist’s! setzte der Schlächter hinzu.
    – Und wir geben ihn nicht zurück!« erklärte der Pfarrer.
    Thornpipe wollte sich nicht ergeben. Mit geröthetem Gesicht und zornsprühenden Augen verlor er ganz die Fassung und war schon daran, »auf irländisch zu spaßen«, d. h. ein Messer zu ziehen, als sich zwei kräftige Männer auf ihn stürzten und ihn entwaffneten.
    »Jagt ihn davon!… Jagt ihn fort! heulten die Frauen.
    – Mach’ Dich auf den Weg, Spitzbube! sagte der Droguist.
    – Und laßt Euch in der Grafschaft nicht wieder erblicken!« schloß der Geistliche mit einer drohenden Bewegung.
    Thornpipe trieb den Hund mit der Peitsche an und der Karren rollte die Hauptstraße von Westport wieder hinaus.
    »Der Schurke! – so machte sich der Pharmaceut noch Luft – ich gebe ihm keine drei Monate, bis er das Menuet von Kilmainham getanzt hat!«
     

    Die Frauen beklagten sein Schicksal. (S. 30.)
     
    Dieses Menuet tanzen, bedeutet nach landläufiger Sprechweise, seine letzte Gigue vor einem Galgen abtanzen.
    Der Pfarrer fragte das Kind nach seinem Namen.
    – »Findling« heiß’ ich,« lautete die sichere Antwort.
    Und in der That: es hatte keinen andern Namen.
Drittes Capitel.
Ragged-School (die Lumpenschule).
    »Nummer 13, was hat der?…
    – Das Fieber.
    – Und Nummer 9?…
    – Den Keuchhusten.
    – Nummer 17?…
    – Auch den Keuchhusten.
    – Und Nummer 23?…
    – Ich glaube, der wird den Scharlach bekommen.«
    Alle diese Antworten schrieb O’Bodkins in ein musterhaft geführtes Register auf die offenen Conten der erwähnten Nummern ein. Hier war je eine Columne für den Namen der Krankheit, für die Stunde des Arztbesuches, für die verordneten Arzneien und für die Art der Verabreichung derselben

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