Der Findling
Aufschrift »Keine Hoffnung! Keine Aassichten!« tragen sollen. Von Thornpipe zur lebendigen Kurbel erniedrigt, dann durch das Mitleid einiger guten Seelen in Westport seinem Peiniger entrissen und nun Zögling der Lumpenschule in Galway! Und wenn er diese einst verließ, drohte es ihm dann nicht noch schlechter zu ergehen?
Gewiß war es lobenswerth von dem Pfarrer des Kirchspiels gewesen, dieses unglückliche Wesen aus den Händen des Marionettenschaustellers zu befreien. Nach vielen vergeblichen Mühen mußte man damals endlich verzichten, seine Herkunft nachzuweisen. Der »Findling« entsann sich nur darauf, bei einer garstigen Frau gelebt zu haben, gleichzeitig mit einem kleinen Mädchen, das ihm recht zugethan, und noch einer andern, die aber gestorben war. Einen Ort wußte er freilich nicht anzugeben. Ebenso konnte niemand sagen, ob er ein nur verlassnes oder ein gestohlnes Kind war.
Seit seiner Befreiung in Westport hatte bald dieses bald jenes Haus für ihn nach Kräften gesorgt. Die Frauen beklagten sein Schicksal. Der Name »Findling« war ihm geblieben. Einzelne Familien pflegten ihn acht, andere vierzehn Tage lang. So vergingen drei Monate. Das Kirchspiel war aber selbst recht arm, und schon lebten viele Bedürftige auf öffentliche Kosten. Wäre ein Waisenhaus vorhanden gewesen, so würde der Knabe darin einen Platz bekommen haben. Ein solches gab es aber nicht, und so hatte man ihn nach der Lumpenschule in Galway bringen müssen, und hier befand er sich nun seit neun Monaten, mitten unter einer Rotte verwahrloster Rangen. Was sollte aus ihm werden, wenn er diese Anstalt einmal verließ? Er gehörte zu jenen Enterbten, für die von frühester Jugend an die Beschaffung der täglichen Bedürfnisse eine Lebensfrage bildet, eine Frage, die gar zu oft ohne Antwort bleibt.
Seit neun Monaten also befand sich der Findling unter der Pflege und Zucht der halb verwilderten alten Kriß, des in sein Schicksal ergebenen Grip und des Directors O’Bodkins, dieser Maschine zur Ausgleichung von Einnahmen und Ausgaben. Seine gute Constitution half ihm aber, viele hier unvermeidliche Schädigungen zu überwinden. Er stand nicht mit in des Directors großem Buche in der Rubrik der Masern, des Scharlachs und andrer Kinderkrankheiten, sonst wäre sein Conto wohl schon beglichen gewesen… in dem gemeinsamen Grabe, das Galway seinen öffentlichen Armen gewährte.
Neben der körperlichen Gesundheit war in der Lumpenschule aber auch die geistige und moralische Entwicklung arg gefährdet, und es gehörte eine vortreffliche sittliche Veranlagung dazu, der Ansteckung durch tägliches böses Beispiel nicht zu erliegen. Hier befand sich sogar ein Knabe, dessen Mutter »ihre Zeit in Norfolk absaß«, auf ferner Insel inmitten des australischen Meeres, und dessen wegen Raubmords verurtheilter Vater hinter den Mauern von Newgate unter den Händen des berühmten (Scharfrichters) Berry geendet hatte.
Dieser Knabe hieß Carker. Schon in seinem zwölften Jahre schien er in den verbrecherischen Spuren der Eltern weiter zu wandeln. Daß dieser inmitten des verwahrlosten Gesindels der Lumpenschule eine gewisse Rolle spielte. ist ja nicht zu verwundern. Er, ein Verdorbener, der andre verdarb, genoß eines besondern Ansehens, er hatte seine Schmeichler und Helfershelfer, war der geborne Anführer der Schlimmsten und bereits zu jedem schlechten Streiche bereit, eine Vorübung zu den Verbrechen, die er nach seinem Austritt aus der Schule gewiß beging.
Der »Findling« freilich empfand nur heftigen Widerwillen gegen Carker, wenn er ihn – den Sohn des Gehenkten! – zuweilen auch mit großen Augen voller Erstaunen betrachtete.
Im allgemeinen gleichen diese Armenschulen kaum den modernen Unterrichtsanstalten, für die der Cubikmeter Luft nach hygienischen Grundsätzen berechnet und der Raumbedarf nach der Kopfzahl bemessen ist. Zum Lager gab es Stroh, da ist das Bett bald gemacht und bedarf kaum des Aufschüttelns. Von einem Speisesaale war keine Rede, und der erschien auch überflüssig, wo man nur Brodrinden nebst einigen Kartoffeln, und auch das oft nur in unzureichender Menge, zu kauen hatte. Die Last des Unterrichtens der Lumpenschüler lag auf den Schultern des Herrn O’Bodkins. Er sollte ihnen Lesen, Schreiben und Rechnen lehren, doch ohne Gewähr des Gelingens, und wenn die Kinder zwei bis drei Jahre unter seiner Zuchtruthe gestanden hatten, gab es unter ihnen kaum ein Dutzend, die einen Maueranschlag zu entziffern vermocht
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