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Der Findling

Der Findling

Titel: Der Findling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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hätten. Obgleich einer der Jüngsten, unterschied sich der Findling jedoch sehr von seinen Kameraden durch einen regen Lerntrieb, der ihm so manche Spöttelei einbrachte. Es ist doch tief bedauerlich und social unverantwortlich, wenn ein Menschenkind, das nach geistiger Ausbildung trachtet, diese entbehren muß. Niemand vermag ja den zukünftigen Verlust durch die Brachlegung eines jungen Gehirns abzuschätzen, das die Natur vielleicht mit den besten – jetzt nicht aufgehenden – Keimen ausgestattet hatte.
    Wenn die Zöglinge nun hier kaum mit dem Kopfe arbeiteten, lag das nicht etwa daran, daß sie mit Handarbeit überbürdet gewesen wären. Die tägliche Beschäftigung der Kinder bestand vielmehr nur darin, daß sie etwas Brennmaterial für den Winter aufsammelten, sich bei mitleidigen Seelen abgelegte Kleidungsstücke erbettelten und den Unrath von Pferden und andern Thieren zusammenscharrten, um diesen an die Landleute für wenige Coppers zu verkaufen – eine Einnahmequelle, für die O’Bodkins eine besondre Rechnung führte – endlich durchwühlten sie, womöglich vor den Hunden oder im Nothfalle nach Verjagung der Vierfüßler, die Kehrichthaufen an den Straßenecken nach irgendwelchem verwendbaren oder verwerthbaren Abfall. Spiele, Unterhaltungen gab es hier nicht, wenn man es nicht als Vergnügen rechnen will, sich gegenseitig zu zerkratzen, zu kneipen und zu beißen, abgesehen von den übeln Streichen, die Grip gar häufig gespielt wurden. Der brave Bursche machte davon wenig Aufhebens; doch das reizte Carker und die andern Schlingel nur noch mehr an, ihm auf gemeinste und grausamste Weise mitzuspielen.
    Das einzige einigermaßen saubere Zimmer der Lumpenschule war das des Directors, das natürlich keiner betreten durfte, denn dann wären dessen Bücher unfehlbar zerrissen, seine Schreibereien überallhin verstreut worden. Im Gegentheil gefiel es dem Manne, wenn seine Zöglinge sich draußen umhertrieben und dumme Streiche machten; ihm kamen sie, die der Hunger und die Müdigkeit in die Lumpenschule heimtrieb, doch immer zu zeitig zurück.
     

    Die tägliche Beschäftigung der Kinder…. (S. 31.)
     
    Bei seiner ernsteren Natur und seinen besseren Neigungen war der Findling unablässig nicht nur dem rohen Spotte, sondern auch den Gewaltthätigkeiten Carker’s und eines halben Dutzend andrer preisgegeben. Er vermied es aber, sich zu beklagen.
    Wenn er nur stark genug gewesen wäre! Er hätte sich schon Respect verschafft, hätte Schlag für Schlag, Fußtritt für Fußtritt zurückgegeben – jetzt freilich schwoll ihm das Herz nur vor Ingrimm, zur Selbstvertheidigung zu schwach zu sein.
     

    Wenn der Große den Kleinen an der Hand führte. (S. 35.)
     
    Gleichzeitig verließ er das Schulhaus am wenigsten, da er sich ja der Ruhe erfreute, wenn die übrigen draußen herumlungerten. Er stand sich dabei freilich schlecht, denn unterwegs hätte er ja etwas zum abnagen finden oder ein altbackenes Brödchen für zwei bis drei als Almosen erhaltene Coppers kaufen können. Ihm widerstrebte es aber, die Hand auszustrecken und hinter den Wagen herzulaufen, um ein verlorenes Geldstückchen aufzulesen, vorzüglich aber, Ladenauslagen und dergleichen zu berauben, was die andern oft genug leichten Herzens thaten. Nein, er zog es vor, bei Grip zu bleiben.
    »Nun, Du willst nicht fortgehen? fragte ihn dieser.
    – Nein, Grip.
    – Carker wird Dich schlagen, wenn Du heut’ Abend nichts heimgebracht hast.
    – Da will ich mich lieber schlagen lassen!«
    Grip empfand für den Findling eine warme, von diesem getheilte Zuneigung. Selbst geistig ziemlich beanlagt und geübt im Lesen und Schreiben, bemühte er sich, dem Kinde zu lehren, was er gelernt hatte. Seit seinem Verweilen in Galway zeigte der Findling auch immer weitere Fortschritte, wenigstens im Lesen, und versprach also, seinem Lehrer Ehre zu machen.
    Hier sei auch nicht vergessen, daß Grip einen großen Vorrath unterhaltender Geschichten im Kopfe hatte, die er gern erzählte.
    Mit seinem herzlichen Lachen in dieser düstern Umgebung kam es dem Findling vor, als verbreite der gute Grip einen Lichtstrahl in der traurigen Finsterniß.

    Was unsern Helden am meisten wurmte, war, daß die andern sich immer an Grip rieben und ihm ihr Uebelwollen auf jede Weise fühlen ließen, was dieser, wie erwähnt, mit philosophischer Ruhe duldete.
    »Aber, Grip!… begann der Findling zuweilen.
    – Was willst Du?
    – Der Carker ist doch recht schlecht!
    – Gewiß, sehr

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