Der Findling
gewöhnt war, sich mit philosophischen Grundsätzen satt zu machen.
Da, kaum zweihundert Schritte von der Schule entfernt, stolperte der Findling und fiel der Länge nach hin. Da er nicht groß war, ging das ohne Schaden für ihn ab. Gleichzeitig rollte aber etwas, woran er mit den Füßen gestoßen hatte, vor ihm her. Es war eine große Weinflasche, die zum Glück nicht entzwei gegangen war, denn der Knabe hätte sich sonst schwer verletzen können.
Der Findling erhob sich und umhersuchend, fand er die Flasche, die zwei bis drei Gallonen fassen mochte. Ein Pfropfen verschloß deren Hals, und diesen brauchte er nur herauszuziehen, um zu sehen, was sie enthielt.
Der Knabe erkannte, daß sie voller Gin war.
Damit hätten sich alle Insassen der Lumpenschule befriedigen können, und der Findling durfte gewiß sein, mit dieser Bürde bestens empfangen zu werden.
In der menschenleeren Straße hatte ihn niemand gesehen und die Anstalt lag ganz nahe.
Da kam ihm aber ein Gedanke, der Carker und dessen Genossen gewiß nie eingefallen wäre. Diese Flasche gehörte ihm doch nicht. Sie war kein Geschenk, war nicht auf den Kehricht geworfen, sondern offenbar ein verlorner Werthgegenstand. Den Eigenthümer zu finden, mochte freilich etwas schwierig sein. Immerhin sagte ihm sein Gewissen, daß er über den Fundgegenstand nicht nach Gutdünken verfügen dürfe. Es war der natürliche Instinct, der ihm das sagte, denn weder Thornpipe noch O’Bodkins hatte ihm je gelehrt, ehrlich zu sein. Zum Glück giebt es auch Kinderherzen, in die dieses Gebot schon allein eingeschrieben ist.
Sehr in Verlegenheit wegen seines Fundes, beschloß der Findling, Grip darum zu fragen; dieser würde die Wiedereinhändigung desselben an den rechtmäßigen Eigenthümer schon veranlassen. Jetzt kam es vorzüglich darauf an, die Flasche von den Taugenichtsen unbemerkt nach der Dachkammer zu schaffen, denn jene hätten sich gewiß nicht darum gekümmert, wem sie gehörte. Zwei bis drei Gallonen Gin! Welcher Ueberfluß!… Mit Anbruch der Nacht wäre aber doch kein Tropfen davon mehr dagewesen. Bei Grip dagegen stand der Branntwein sicher; dieser rührte die Flasche gewiß nicht an, sondern hätte sie unter das Stroh versteckt, bis er am folgenden Morgen in der Nachbarschaft Umfrage hielt. Wenn nöthig, wollten beide dazu von Haus zu Haus gehen… sie bettelten ja nicht.
Der Findling schritt also mit seiner Last der Schule zu, und bemühte sich, die Flasche unter seiner Kleidung zu verbergen.
Eben als er vor die Thür kam, stürmte aber zum Unglück Carker daraus hervor, so daß er einen Zusammenstoß mit diesem nicht vermeiden konnte. Da Carker ihn erkannte und allein vor sich sah, hielt er es für die beste Gelegenheit, dem Knaben zurückzuzahlen, was er ihm von dem Zusammentreffen an dem Strande von Salthill her schon zugedacht hatte.
Er warf sich also über den Findling und entriß diesem die Flasche, die er bald unter dessen Lumpen gefühlt hatte.
»Eh, was ist denn das? rief er.
– Das?… Das gehört nicht Dir!
– Also wohl Dir?
– Nein, mir auch nicht!«
Der Knirps wollte Carker zurückdrängen, dieser versetzte ihm aber einen Stoß, daß er selbst drei Schritte weit zurücktaumelte.
Sofort ergriff Carker die Flasche und eilte damit nach dem Saal zurück während der kleine Knabe ihm weinend folgte.
Er versuchte noch Einspruch zu erheben, da aber Grip nicht da war, der ihn unterstützt hätte, so erhielt er nur tüchtige Prügel, bis die alte Kriß sich einmengte, sobald sie die Flasche bemerkt hatte.
»Gin, rief sie, guter Gin! O, das ist ja für alle genug!«
Der Findling hätte gewiß besser gethan, die Flasche in der Straße liegen zu lassen, wo sie deren Eigenthümer jetzt wahrscheinlich suchte, denn zwei bis drei Gallonen Gin kosten schon verschiedene Schillinge, ja sogar mehr als eine halbe Krone. Er hätte sich sagen müssen, daß es unmöglich sein würde, ungesehen bis zur Dachkammer Grip’s zu gelangen. Jetzt war es freilich zu spät.
Sich an O’Bodkins zu wenden, diesem den Vorfall zu erzählen, würde auch nichts genutzt haben, und dem wäre ein schlechter Empfang zu Theil geworden, der die Thür zu des Directors Zimmer öffnete und den Insassen vielleicht bei seinen verwickeltsten Rechnungen störte. Im besten Falle hätte O’Bodkins die Flasche nach seinem Zimmer bringen lassen, und was da hinein kam, kam gewiß nicht wieder heraus.
Der kleine Knabe konnte also nichts thun und beeilte sich nur, Grip aufzusuchen,
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