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Russisch Blut

Titel: Russisch Blut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Chaplet
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Prolog
    Blanckenburg, im Frühjahr 2004
     
    Er nahm einen tiefen Zug aus der Zigarette und sah zu, wie ein Regentropfen in der Glut verdampfte. Ihm war warm, ein Gefühl, das von innen kam, nicht vom Wetter. Es war das Gefühl, nach einem langen Lauf endlich angekommen zu sein, die verdiente Siegerehrung vor Augen.
    »Dem Mann, der nicht aufgegeben hat. Dem Mann, der es wußte, von Anfang an. Dem Mann, der am Ball blieb, koste es, was es wolle.« Applaus. Musik.
    Er schob sich den Hut ein wenig tiefer in die Stirn, nahm noch einen Zug und blies den hellen Rauch in die Nacht. Dabei war mit dieser Wendung gar nicht mehr zu rechnen gewesen. Was für ein Zufall, ausgerechnet hier auf alte Bekannte zu treffen! Und daß diese völlig unmögliche Person auf die Idee gekommen war, ihn um Hilfe zu bitten …
    Aber gerne. Ganz zu Ihren Diensten. Auf diese Gelegenheit warte ich schon lange.
    Er wippte auf den Fußballen und versuchte, im Licht der Zigarettenglut zu erkennen, wo die Zeiger der Armbanduhr standen. Er war zu früh – alte Angewohnheit aus vergangenen Zeiten, als man wissen mußte, was auf einen zukam. Zum Beispiel ein Engel mit seinem Füllhorn. Der Weihnachtsmann. Der Geist aus Aladdins Wunderlampe. Die Erfüllung aller Wünsche.
    Er lächelte in sich hinein. Jetzt nicht übermütig werden.
    Seine Fußspitze trat die Zigarettenkippe in die Grasnarbe vor der Koppel. Er ballte die Fäuste in den Manteltaschen, hob die Schultern und machte ein paar Schritte auf der Stelle. Es regnete heftiger.
    Über die Motive der anderen Seite machte er sich keine Illusionen. Sie waren nicht weniger lebenspraktisch als seine. Alle wollten ihr Auskommen. Wer vernünftig war, sorgte vor und wartete nicht, bis der Staat keine Rente mehr zahlen konnte. Daß niemand etwas erfahren sollte, war ihm recht. Man würde langsam an die Sache herangehen. Tastend. Nichts an die große Glocke hängen.
    Die Tür zum Stall war angelehnt, er hörte es schnauben und rascheln. Er machte sich nichts aus Tieren, vor allem nicht aus so großen wie Pferden. Wieder hielt er sich die Armbanduhr vor Augen, diesmal ohne etwas zu erkennen. Seinem geschulten Gefühl nach war es noch nicht weit nach der verabredeten Zeit. Aber die Nässe sickerte durch seinen viel zu leichten Mantel. Er starrte in die Dunkelheit und drehte sich einmal um die eigene Achse. Nichts.
    Im Stall schurrte und schabte es. Er zögerte. Dann ging er hinein.
    Es roch nach Pferd und Stroh, nicht einmal unangenehm. Er stellte sich in den Gang zwischen den beiden Reihen von Verschlagen, direkt an die Tür, die er offenließ, damit er sah, wenn jemand kam. In den Boxen rechts und links standen keine Pferde, was ihn beruhigte. Er wußte nie, was er machen sollte, wenn ihn die großen Augen anglotzten und sich die riesigen Nasen näherten, die Nüstern gebläht. Hinten im Stall war es unruhig, etwas Großes bewegte sich, stampfte, schlug gegen Holz.
    Warum hatten sie sich eigentlich nicht an einem freundlicheren Ort verabredet? Es hätte sich doch leicht ein Vorwand finden lassen, der sie an der Hotelbar unten in der Stadt zusammengeführt hätte. Oder meinetwegen auch in irgendeinem Raum dieser gottverlassenen Ruine.
    Hinter ihm wieder ein Geräusch, er glaubte plötzlich, es flüstern zu hören. War da einer bei den Pferden? Wollte man ihn herausfordern? Es dauerte eine Weile, bis er es über sich brachte, durch den dunklen Gang zu tappen. Die große Kreatur, die da hinter den Gittern stand, schnaufte, scharrte, bewegte ihren massigen Leib. Er glaubte, Wut zu spüren wie einen heißen Atem.
    Und dann – etwas schrie auf, ein wütender, gellender Schrei, etwas krachte gegen die Eisengitter, gegen die Bretterwand, der Boden vibrierte. Und dann war es über ihm. Eine gewaltige Masse brach über ihn herein, stieß ihn beiseite wie eine Strohpuppe, warf ihn gegen die Eisengitter, fegte an ihm vorbei hinaus ins Freie. Er sah noch die Silhouette des Pferdes in der Tür, gegen das vage Licht von draußen. Die Tür schlug auf und wieder zu.
    In der Stille hörte er sich selbst am Eisengitter entlang zu Boden rutschen. Kein Muskel seines Körpers gehorchte ihm mehr. Es kam ihm vor wie eine Ewigkeit, bis er in der Lage war, sich aufzurichten.
    Der Mantel war ruiniert, mit Sicherheit. Sein rechtes Bein trug ihn kaum, der Oberschenkel war wie gelähmt. Aber der schlimmste Schmerz saß in der Brust. Er hob seinen Hut auf, stolperte durch den finsteren Gang, raus aus dem Stall, aus dieser Luft, die ihm

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