Der Findling
Auskunft erhalten werde.
Dabei drückte ihn die Sorge, daß er, in seinem Alter so ganz allein auf der Landstraße gefunden, vielleicht als Vagabund verhaftet und noch einmal in die
Ragged-School
oder in ein Arbeitshaus eingeliefert werden könnte. Lieber wollte er alles Ungemach weiterer Irrfahrten ertragen, als in eines dieser verhaßten Asyle zurückkehren, wobei er sich ja auch von dem anhänglichen Birk hätte trennen müssen.
»Nicht wahr, Birk, sagte er, den mächtigen Kopf des Hundes auf seine Knie legend, wir könnten doch keiner ohne den andern leben?«
Gewiß antwortete der Hund in seiner Weise, daß das unmöglich sei.
Von Birk wendeten sich seine Gedanken dann seinem früheren Kameraden von Galway zu und er fragte sich, ob Grip jetzt wohl auch obdachlos sei wie er. Ja, wenn sie einander begegnet wären, hätten sie zu zweien sich sicherlich eher fortzuhelfen vermocht… sogar zu dreien; er gedachte damit der guten Sissy, von der er seit seiner Flucht aus der Hütte der Hard gar nichts gehört hatte. Jetzt mußte sie – mit vierzehn bis fünfzehn Jahren – doch schon ein großes Mädchen sein. In diesem Alter ist man hier schon in Stellung, im Dorf oder in der Stadt, und verdient sein Brod zwar sauer, verdient es aber doch. Wenn er erst so alt wäre, würde er nicht darum verlegen sein, eine Stelle zu finden. Jedenfalls würde ihn Sissy nicht vergessen haben. Alle Erinnerungen aus seiner ersten Kindheit tauchten mit überraschender Schärfe in ihm auf: die schlechte Behandlung durch das böse Weib, die Grausamkeiten Thornpipe’s, des Puppenschaustellers…. Da fühlte er sich jetzt frei, wenn auch allein, doch weit glücklicher, als zu jenen traurigen Zeiten!
Immer weiter auf der Landstraße hinziehend, verflossen die Tage ohne besondre Veränderung seiner Lage. Zum Glück war der Februar dieses Jahres nicht so hart, und die Armen brauchten von keiner übermäßigen Kälte zu leiden. Der entschwindende Winter ließ die Hoffnung aufkommen, daß der Beginn der Arbeiten und der Frühlingseinsaat nicht verzögert werden würde. Fingen dann die Feldarbeiten zeitig an, so wurden auch Schafe und Kühe wieder auf die Weide getrieben und Findling durfte hoffen, in einer Farm Beschäftigung zu finden.
Fünf bis sechs Wochen lang mußte er freilich noch hinbringen, und von den gelegentlich erworbenen wenigen Schillingen, so wie von der Guinee – dem ganzen Vermögen des Knaben – waren gegen Mitte März nur noch ein halbes Dutzend Peace übrig. Dabei hatte er an der täglichen Nahrung – und er aß nicht einmal alle Tage – so viel wie möglich gespart, jedenfalls sich nie ordentlich satt gegessen. So war er abgemagert, sein Gesicht erbleicht und der Körper von der Anstrengung erschöpft.
Birk, dessen Fell sich über den hervortretenden Seiten faltete, schien auch nicht in besserer Verfassung zu sein. Auf die in Dörfern gewöhnlich kargen Abfälle hingewiesen, mußte Findling vielleicht bald auch diese mit dem Thiere theilen.
Dennoch schützte ihn sein Charakter davor, ganz zu verzweifeln. Er bewahrte sich stets die Energie, wenigstens nicht zu betteln. Was sollte er aber beginnen, wenn sein letzter Penny für das letzte Stück Brod dahingegangen war?
Kurz, Findling besaß nur noch sechs bis sieben Pence, als er mit Birk am 13. März in Newmarket anlangte.
Seit zweieinhalb Monaten hatten beide die Straßen der Grafschaft durchstreift, ohne irgendwo eine dauerndere Ruhe zu finden.
Newmarket, etwa zwanzig Meilen von Kerwan gelegen, ist weder groß noch volkreich. Es bildet einen jener Flecken, aus denen die irländische Gleichgiltigkeit niemals eine Stadt schaffen wird und die eher rückwärts als vorwärts gehen.
Vielleicht war es bedauerlich, daß der Zufall Findling nicht in der Richtung nach Tralee zurückgeführt hatte; das Meer übte ja von jeher auf den Knaben einen mächtigen Reiz aus – das Meer, die unerschöpfliche Nährmutter aller, die den Muth haben, darauf und davon zu leben. Wenn es an Arbeit in Stadt und Land gebricht, feiert man doch niemals auf dem Ocean, den Tausende von Schiffen unausgesetzt durchkreuzen. Der Seemann hat weit weniger die Verarmung zu fürchten, als der Landbauer und der Arbeiter. Das bewies ja schon ein Vergleich der Verhältnisse Pats, des zweiten Sohnes Martin Mac Carthy’s, mit denen der aus der Farm von Kerwan vertriebenen Familie. Und wenn Findling sich auch noch mehr von der Handelsthätigkeit als von der Seefahrerei angezogen fühlte, sagte er sich
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