Der Fluch der grünen Steine
Da hat keiner mehr gehofft, noch einen Guaquero wiederzusehen. Die sind alle ersoffen oder vom Berg erschlagen, hieß es in Muzo. Damals zerstörte eine Geröllflut auch die Hälfte von Penasblancas.«
Es regnete bis zum Morgen. Eine Sonne gab es nicht mehr. Nur einen grauen Himmel, der das Licht aufsaugte, mit Wasser auffüllte und dann auf die Erde schleuderte. Auch als der Regen nachließ und sich normalisierte, was bedeutete, daß es für europäische Begriffe immer noch ein Wolkenbruch war, blieb der Tag wie in einem grauen Sack hängen, ein diffuses Licht, als verlösche langsam die Sonne und die Welt zerfließe ohne die Wärme aus der Unendlichkeit.
Unter Planen und Decken, die schnell durchweichten und dann bleischwer wurden, mit in wenigen Augenblicken durchnäßten Kleidern zogen sie weiter ins Tal von Penasblancas. Wie Geister tauchten sie aus der Regenwand auf, als sie die Straße erreichten, die am Fuße der Berge endete, beziehungsweise begann. Dort wartete Leutnant Salto mit einem Jeep und vier Polizisten in einem Zelt. Ein Ölofen verbreitete herrliche Wärme, in einem Kessel brodelte starker Tee.
Felipe Salto rannte Dr. Mohr mit ausgebreiteten Armen durch den Regen entgegen. Vor fünf Minuten hatte Dr. Novarra mit seinen fünfzehn Männern sich von Dr. Mohr verabschiedet. Ein vorausgeschickter Späher hatte gemeldet, daß die Polizei am Beginn der Straße ihr Lager aufgeschlagen hatte.
»Sie sind ein Glücksmensch, Doctor«, sagte Novarra und küßte Dr. Mohr auf beide Wangen. »Jetzt kann ich es Ihnen gestehen: Gestern nacht gab ich für unser Leben keinen Peso mehr. Als ich das Donnern der Bergrutsche hörte, hatte ich abgeschlossen. Da kommen wir nie wieder raus, habe ich gedacht. Wir sitzen in der Falle. Hinter uns der Weg verschüttet, vor uns die Schlucht versperrt, und wir stecken herrlich in der Senke und ersaufen wie die jungen Karnickel. Aber ich hatte vergessen: Sie waren ja bei uns! Das Sonntagskind!« Er hüstelte, küßte auch Margarita auf die Wangen und sagte dann grob: »Und jetzt weg mit Ihnen, ehe die Schlucht volläuft.«
»Und wo gehen Sie hin?« fragte Dr. Mohr.
»Wir verkriechen uns irgendwo. Denken Sie ab und zu an uns …«
»Was reden Sie da für einen Blödsinn! Ich komme in ein paar Tagen zurück!«
»Bis Sie wieder zu Ihrem Hospital durchkommen, kann es Wochen dauern.«
»Dann in zwei oder drei Wochen! Ich habe es mir überlegt: Ich fahre nicht mit Nuria nach Bogotá. Ich gehöre jetzt in die Berge, zu den Verletzten! Mit Don Camargo kann Major Gomez sprechen.«
»Don Alfonso wird Gomez nicht einmal anfurzen, geschweige denn anhören …«
»Es genügt, wenn Camargo die Wahrheit erfährt. Antworten braucht er nicht. Ich kenne das ja. Er wird in einen leeren Raum hineinsprechen, in einem großen Bürohaus, aber wenn er auch niemanden sieht, er wird gehört werden. Ich aber komme sofort mit Perdita zurück.«
Dr. Novarra nickte. Er stieg wieder auf sein Muli, zog die Plane über sich und hob noch einmal grüßend die Hand. Seine Männer waren schon zurückgeritten und verschwanden im strömenden Grau. Der Regen saugte sie auf.
»Wenn wir uns nicht mehr wiedersehen sollten, Doctor: Lösen Sie sich nicht in Traurigkeit auf! Die Monate, die Sie bei uns waren, haben Geschichte gemacht. Guaquero-Geschichte. Auch die gibt es, aber die hat noch keiner geschrieben. Wer will schon lesen, daß 30.000 Männer, Frauen und Kinder nur wegen ein paar grüner Steine ein unbegreifliches Leben führen? Wen interessiert es? Am wenigsten die Damen, die ihren Smaragdschmuck in der Oper und bei Galaabenden vorführen und sich sonnen im bewundernden Blick der anderen. Wer ahnt denn, wieviel Blut an diesen Steinen kleben kann, welche Schicksale mit ihnen verbunden sind, aus welchem Meer von Elend diese Steine gefischt wurden, die dort am Hals, am Ohr oder am Handgelenk einer schönen Frau ein Vermögen kosten. Vielleicht schreiben Sie mal darüber, Doctor.«
Er winkte, trat seinem Muli in die Seiten und trabte den anderen nach. Dr. Mohr blieb im strömenden Regen stehen, bis auch Dr. Novarra in die graue Wand eingetaucht war. Das merkwürdige, beklemmende Gefühl erfaßte ihn wieder, das er schon bei den Abschiedsworten von Pater Cristobal empfunden hatte. Er drehte sich um, rannte zu seinem Muli, sprang in den flachen Ledersattel und sah zu Margarita und Nuria hinüber. Sie saßen auf ihren Tieren, und das Wasser klatschte an ihren Planen herunter. Die Kinder in den Flechtkörben,
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