Septimus Heap - Fyre
PROLOG:
VORBOTEN
Eine Flamme brennt um Mitternacht. Auf einer Insel in den wilden Marram-Marschen hält eine junge Frau eine Laterne in die Höhe. Ihre dunklen langen Haare wehen im Wind, der, warm und salzig, vom Meer herüberbläst. Im Schein der Laterne glitzern das goldene Diadem auf ihrem Kopf und die goldenen Borten an ihrer langen roten Robe – der Robe der Burgkönigin.
Die Königin ist nicht allein. Neben ihr steht ein alter Mann mit langen weißen gewellten Haaren und dem Stirnband des Außergewöhnlichen Zauberers. Er sieht prachtvoll aus in seiner reich mit magischen Symbolen bestickten lila Robe. Sein Name ist Hotep-Ra. Er ist der allererste Außergewöhnliche Zauberer.
Die Insel, auf der sie stehen, ist ein alter Lauschposten, und Hotep-Ra lauscht in diesem Augenblick aufmerksam. Reglos wie eine Statue steht er da, ganz versunken in das, was er aus der Ferne vernimmt. Dann legt er die Stirn in noch tiefere Falten. »Es ist, wie ich befürchtet habe«, flüstert er. »Sie haben mich entdeckt.«
Die Königin versteht nichts von Magie, aber sie achtet sie, denn Magie hat einst das Leben ihrer Tochter gerettet. Sie nickt traurig, weil sie weiß, dass Hotep-Ra und sie nun für immer voneinander scheiden müssen.
Eine Flamme brennt eine halbe Stunde nach Mitternacht. Die Königin und Hotep-Ra befinden sich unter der Erde, und die Laterne bescheint eine weiße Wand, die mit Reihen von leuchtenden Hieroglyphen bedeckt ist. Die Königin sucht ein Symbol. Bald hat sie es gefunden: einen blauen Drachen in einem blau-goldenen Kreis. Sie legt die Hand auf den Kreis, und während sie warten, dreht Hotep-Ra an dem Ring, den er am rechten Zeigefinger trägt. Der Ring hat die Form eines goldenen Drachen, der sich in den eigenen Schwanz beißt. Sein Auge ist ein funkelnder Smaragd. Er ist wundervoll gearbeitet, aber das Schönste an ihm ist das warme gelbe Licht, das tief aus seinem Inneren heraus glimmt und im Schatten von Hotep-Ras Hand erstrahlt.
Dann ertönt ein tiefes, leises Rumpeln, und die Hieroglyphenwand schwingt nach hinten auf und gibt den Blick frei auf einen dunklen großen Raum. Die Königin lächelt Hotep-Ra an. Er erwidert das Lächeln ein wenig traurig, und gemeinsam treten sie ein.
Die Königin trägt die Laterne, deren Licht zwei prächtige weiße Marmorsäulen erhellt, die in der Dunkelheit emporragen. Sie gehen zwischen den Säulen hindurch, schreiten über einen Mosaikfußboden in roten, gelben, weißen und grünen Tönen. Und dann sind sie am Ziel. Die Königin reicht Hotep-Ra die Laterne, und er hält sie hoch, damit ihr Licht das schönste Geschöpf bescheint, das er jemals gesehen hat: sein treues Drachenboot.
Der Rumpf des Drachenboots ist breit und stabil, für die Fahrt auf dem Meer gebaut und unlängst von Hotep-Ra vergoldet worden. Der Rumpf und der Mast mit seinem himmelblauen Segel sind der unbelebte Teil des Bootes. Alles andere ist ein lebendiger weiblicher Drache. Längs des Rumpfes liegen, sauber zusammengefaltet, die grünlich schillernden Flügel. Der Kopf und der Hals der Drachin bilden den Bug, der Schwanz das Heck. Halb Boot, halb Drache, hat das Geschöpf in tiefem Schlaf gelegen, allein in diesem dunklen, alten unterirdischen Tempel, doch beim Öffnen der Wand ist die Drachin erwacht. Träge hebt sie den Kopf und reckt den Hals wie ein Schwan. Die Königin tritt leise näher, um sie nicht zu erschrecken. Die Drachin öffnet die Augen, senkt den Kopf, und die Königin schlingt die Arme um den Hals der Drachin.
Hotep-Ra bleibt zurück. Er betrachtet sein Drachenboot, das auf dem Mosaikboden ruht, als warte es darauf, dass das Wasser steigt und es zu fernen Inseln trägt. Und tatsächlich hat er genau dies mit ihm im Sinn gehabt: Alt, wie er ist, hat er zu einer letzten Reise mit ihm aufbrechen wollen. Doch daraus kann nun nichts mehr werden. Jetzt, da seine Feinde ihn aufgespürt haben, muss Hotep-Ra das Drachenboot in dem geheimen unterirdischen Versteck belassen, denn dort ist es vor ihnen sicher. Er seufzt. Das Drachenboot muss warten, bis ein anderer Drachenmeister es braucht. Hotep-Ra weiß nicht, wer das sein wird, er weiß nur, dass er ihm eines Tages begegnen wird.
Die Königin verspricht dem Drachenboot, dass sie auf den Tag genau in einem Jahr wiederkommen wird, aber Hotep-Ra verspricht ihm nichts. Er tätschelt der Drachin die Nase, dann dreht er sich um und verlässt schnellen Schrittes den Tempel. Die Königin eilt ihm nach, und
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