Der Fluch des Denver Kristoff
abgelegene, holzwurmzerfressene Bruchbude, nicht wahr?«
Cordelia errötete verlegen. Der Raum war voller antiker, kunstvoll bemalter griechischer Vasen (Sicher Reproduktionen , dachte Cordelia, die Originale könnte doch niemand bezahlen). In einer Ecke stand ein verschnörkelter schmiedeeiserner Garderobenständer, in der anderen die Marmorbüste eines Mannes mit welligem Bart, eindeutig irgendein alter Philosoph. Sämtliche Objekte wurden von kleinen Strahlern beleuchtet, die an langen Schienen unter der Decke hingen wie in einem Museum. Es musste eine optische Täuschung sein, aber Brendan kam das Haus von innen doppelt so groß vor wie von außen.
»Dieses Haus war schon von Beginn an für große Gesellschaften geplant, wie eine große Bühne«, erklärte Diane mit einer ausladenden Handbewegung.
»Wer ist hier aufgetreten?«, fragte Cordelia.
»Lady Gaga«, witzelte Brendan, ohne eine Miene zu verziehen, obwohl ihm dieses Haus immer unheimlicher wurde. Erst ist da gar kein Verkaufsschild, dann eine seltsame Statue und jetzt ein Haus, in dem es aussieht wie in einem Antiquitätenladen …
»Bren«, sagte Mrs Walker mit warnendem Unterton.
Diane fuhr ungerührt fort: »Hier haben schon seit Jahren keine großen Gesellschaften mehr stattgefunden. Die Vorbesitzer haben das Haus zwar aufwendig renovieren lassen, doch sie haben nur kurze Zeit hier gewohnt, dann wollten sie sich verändern und sind nach New York gezogen.«
»Und davor?«, wollte Brendan wissen.
»Davor hat die Villa viele Jahrzehnte leer gestanden. Ein paar Schmuckleisten haben vielleicht im Laufe der Zeit etwas gelitten, aber diese alten Häuser wurden für die Ewigkeit erbaut. Dieses hier wurde sogar so konstruiert, dass es schwimmen kann!«
»Wie bitte?«, fragte Brendan.
»Machen Sie Witze?«, fragte Cordelia.
»Mr Kristoff, der ursprüngliche Besitzer, wollte sicherstellen, dass sein Haus niemals bei einem derartigen Erdbeben, wie er es zu seiner Zeit überlebt hatte, zerstört werden könnte. Also ließ er das Fundament mit luftgefüllten Fässern unterbauen. Sollte noch einmal so ein großes Beben kommen und das Haus von den Klippen stürzen, ist es so konzipiert, dass es einfach ins Meer gleitet und schwimmt wie ein Schiff.«
»Wie cool!«, staunte Eleanor.
»Aber das ist doch absurd«, widersprach ihr Vater.
»Ganz und gar nicht, Dr. Walker, diese Methode wendet man mittlerweile beim Hausbau in den Niederlanden an. Mr Kristoff war seiner Zeit weit voraus.«
Diane führte die Walkers weiter ins Wohnzimmer, von dem aus man einen atemberaubenden Blick auf die Golden Gate Bridge hatte. Komisch, dass man die Brücke von hier sehen kann, dachte Brendan im ersten Moment verwirrt, doch anscheinend hatte er über all den griechischen Vasen, Alabasterbüsten und der Ritterrüstung ein wenig die Orientierung verloren … außerdem musste er immer wieder an den steinernen Engel da draußen denken, der ihm seinen Armstumpf entgegengestreckt und ihn aus seinen moosbewachsenen Augenhöhlen angestarrt hatte.
Im Wohnzimmer standen ein imposanter Chesterfield-Ledersessel, daneben ein Beistelltisch mit Glasplatte und Beinen aus Treibholz und in der anderen Ecke ein ausladender Steinway-Flügel. »Stehen die Möbel auch zum Verkauf?«, fragte Mrs Walker.
»Natürlich, alles«, erklärte Diane lächelnd. »Es ist alles im Kaufpreis inbegriffen.«
Während die anderen ihr in den nächsten Raum folgten, konnte Brendan sich immer noch nicht von der tollen Aussicht losreißen, obwohl er in San Francisco aufgewachsen war und die Golden Gate Bridge fast jeden Tag sah. Doch von hier aus schien sie zum Greifen nah, man hatte das Gefühl, direkt unter der Brücke zu stehen, und ihre lachsfarbenen Bögen leuchteten beinahe unnatürlich. Was hatte dieser Mr Kristoff wohl gedacht, als die Brücke errichtet wurde? Wenn das Haus wirklich 1907 gebaut worden war – Brendans Gehirn rief sofort Daten und Ereignisse ab –, hatte es bereits dreißig Jahre vor der Brücke hier gestanden. Damals hatte man von diesem Wohnzimmerfenster aus noch einen weiten Blick über die Bucht bis hin zum offenen Meer, lediglich eingerahmt von zwei riesigen Felszungen. Hatte Mr Kristoff den Bau der Brücke überhaupt noch miterlebt?
»Hallo?«, fragte Brendan in den leeren Raum. Dann fiel ihm auf, dass Diane und seine Familie längst weitergegangen waren. Schnell lief er hinter ihnen her.
Auch Cordelia war in Gedanken bei diesem Mr Kristoff. Irgendwie kam ihr der Name bekannt
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