Die Zufalle des Herzens
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I n einer Jeans, die mit vier Pfund weniger noch gepasst hätte, jetzt aber überall kniff, stand Dana an ihrer Küchentheke und drückte Alufolie über einer Auflaufform mit Lasagne fest, während sie am Telefon in der Warteschleife hing. Sie hatte den Hörer zwischen Schulter und Kinn geklemmt und ließ den Blick über die Todesanzeigen der Lokalzeitung wandern, doch Dermott McPhersons Name tauchte nicht auf – dieses Mal jedenfalls nicht. Mr McPherson war der Grund dafür, dass sie die Lasagne zubereitet hatte, obwohl sie eigentlich gar nicht für ihn war. Er aß vermutlich nicht viel. Sie war für seine Familie gedacht, die begreiflicherweise verzweifelt war, weil ein von ihnen geliebter Mensch unheilbar krank war und nicht mehr lange zu leben hatte. Dana kannte die McPhersons nicht. Sie gehörte COMFORT FOOD an, einer Gruppe Freiwilliger, die für Familien in Krisensituationen kochte.
Wenn Dana an der Reihe war, hoffte sie, dass die Mahlzeiten den Angehörigen Kraft geben würden, während sie Hände hielten oder Medizin verabreichten, das Bett frisch bezogen oder Anrufe erledigten. Sie dachte oft daran, wie rasch ihre eigene Mutter in einen Zustand übelriechender Gebrechlichkeit verfallen war, in dem ihre Lunge fast sichtbar zu schrumpfen schien. Dana wäre damals für ein leckeres Essen dankbar gewesen. Nichts Ausgefallenes, bloß etwas Besseres als gummiartige Pizza und abgestandenes Mineralwasser. Eine kleine Verbindung zu einer Welt außerhalb der dichten Feuchtigkeit des Todes.
Im Vergleich dazu war der Abgang ihres Vaters rasch und sauber vonstatten gegangen. Ohne Krankenhausaufenthalte oder trauernde Freunde, nicht einmal ein Sarg musste ausgesucht werden. Doch darüber dachte Dana nicht gerne nach.
»Cotters Rock Dental Center«, sagte eine Stimme in ihr Ohr. »Was kann ich …«
Aus ihrer düsteren Träumerei gerissen, zuckte Dana zusammen, worauf das Telefon polternd zu Boden fiel. Rasch hob sie es wieder auf. »Tut mir leid, Kendra! Ich hoffe, Ihnen ist nicht das Ohr geplatzt.«
»Schon in Ordnung«, sagte die Sprechstundenhilfe.
»Es ist mir wirklich unangenehm. Bitte entschuldigen Sie noch mal.«
»Mir ist nichts passiert. Was kann ich für Sie tun?«
»Hier ist Dana Stellgarten. Morgans und Gradys Mom. Ich hätte gerne Termine zur Kontrolluntersuchung für die beiden, wenn das möglich ist.«
Aus der Diele drangen das Knarren einer Tür und das dumpfe Aufschlagen eines Rucksacks auf den Fliesen. »Entschuldigen Sie mich bitte einen Moment«, murmelte Dana ins Telefon, bevor sie die Sprechmuschel mit der Hand bedeckte. »Morgan?«, rief sie.
»Ja.«
»Ich dachte, du wolltest nach der Schule mit zu Darby gehen.«
»Tja, wohl doch nicht.« Morgan erschien in der Küche und öffnete den Kühlschrank. Sie starrte hinein, als liefe dort zwischen Würzsoßen und Joghurtbechern ein Film, den nur vorpubertäre Jugendliche sehen konnten.
»Es tut mir wirklich leid, aber ich muss Sie, glaube ich, später noch mal anrufen«, sagte Dana ins Telefon. Dann wandte sie sich ihrer Tochter zu, die im Schein des Kühlschranklichts stand. »Habt ihr eure Pläne geändert?«, fragte sie.
»Darby hat sich nicht gut gefühlt .« Morgans Finger krümmten sich unvermittelt zu Gänsefüßchen.
»Habt ihr einen neuen Termin vereinbart?«
Morgan drehte sich zu ihrer Mutter um. »Nein, Mom, wir haben keinen neuen Termin vereinbart . Wir wollten nur abhängen. Zum Abhängen vereinbart man keinen neuen Termin.«
»Du scheinst … Bist du sauer auf Darby?«
Mit einem dumpfen Geräusch schlug Morgan die Kühlschranktür zu. »Wie soll ich sauer auf sie sein? Sie hat nichts Falsches gemacht.«
»Wie hat sie es dir denn gesagt?«
Jetzt, wo Morgan in der sechsten Klasse war, hatte Dana gelernt, dass es nicht mehr darauf ankam, was Mädchen zueinander sagten. Die eigentliche Information lag jetzt ausschließlich in der Art, wie sie es sagten.
Morgan ließ sich auf einen Küchenstuhl fallen, nahm eine Serviette und verdrehte sie, bis sie die Form und Dichte eines Sektquirls hatte. »Sie stand bei Kimmi, und ich so: ›Hey, wir treffen uns nach der letzten Stunde‹. Da hat sie Kimmi nur angeguckt.«
Das war schlimm, wusste Dana. In dem Alter waren die Augen so etwas wie Waffen. »Sie hat sie angeguckt?«
»Ja. Und dann hat sie gesagt: ›Ach ja, äh, mir geht’s nicht so gut. Ich glaub, ich gehe lieber nach Hause.‹ Und dann ich: ›Ist dir schlecht?‹ Da hat sie Kimmi wieder angeguckt und gesagt:
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