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Der Fluss

Der Fluss

Titel: Der Fluss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Paulsen
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zwingen, den Mund aufzureißen und einzuatmen – auch wenn es nur Wasser war.
    Mit letzter Willenskraft kämpfte Brian gegen den töd lichen Zwang, Luft zu holen, und kurz bevor seine Kraft erlahmte, bevor er den Mund auftun und Wasser schlu cken musste – was den sicheren Tod bedeutet hätte – , er reichte er den Rand des Felsriegels unter dem Wasserfall.
    Die Strömung brauste an ihm vorbei, riss ihn mit wie ein Schiffchen aus Papier – und entführte ihn flussab wärts. Doch für einen kurzen, qualvollen Moment gelang es ihm, den Kopf aus dem Wasser zu recken und Atem zu schöpfen, die Augen weit aufzureißen und einen Blick nach vorne zu tun: Das Floß war verschwunden, vom Fluss verschluckt, auf tosenden Stromschnellen davongeflogen.
    Schon schlug das Wasser wieder über Brians Kopf zu sammen, er wurde über Steine geschleift und auf den Bo den gedrückt, hin und her geworfen in einem tosenden, donnernden Wasserwirbel, bis nur noch die Hoffnung ihn hinderte, endgültig aufzugeben. Die Hoffnung auf Luft zum Atmen, die Hoffnung auf Leben.
    Im nächsten Moment stieß sein Kopf gegen etwas Hartes. Ein kurzer, knirschender Schlag – dann wurde es dunkel.

22
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    Helles Licht drang durch Brians Augenlider, rot und blendend, und er schlug die Augen auf, nur um festzu stellen, dass er auf dem Rücken lag und direkt in die Sonne starrte.
    »Ooouch!«, stöhnte Brian und wälzte sich auf den Bauch. Er spuckte Wasser und grünlichen Schlamm und zog keuchend die Luft ein.
    Er lag im seichten Wasser unterhalb der Stromschnel len, von der Strömung in eine Bucht unterhalb der Uferböschung gespült. Das Wasser stand nur zwei Handbreit tief über sandigem Grund. Langsam kehrten Brians Sinne wieder – und damit die Erkenntnis, dass er in Ordnung war. Er hatte Prellungen und blutige Schrammen, aber nichts war gebrochen. Er hatte Wasser geschluckt, das er jetzt hinauswürgte, aber sonst war er unverletzt.
    Er war in Ordnung.
    Aber Derek?
    Der Name brannte sich in sein Gehirn. Oh, Derek hatte er ganz vergessen …
    Er stand auf. Seine Knie waren wackelig, aber sie tru gen ihn, als er sich aufrichtete und den Fluss hinab spähte.
    Eine halbe Meile weit konnte er den Fluss überblicken, ruhiger jetzt zwischen flachen Ufern und eingebettet in dichtes Gebüsch unter hoch ragenden Bäumen. Kleine Vögel flitzten über das Wasser, und Enten schwammen umher.
    Aber wo war das Floß?
    Brian drehte sich um, tropfend vor Nässe stand er da und schaute den Fluss hinauf, gegen die Stromschnellen.
    Von unten schienen sie gar nicht so wild. Die Wasser walzen wirkten viel kleiner und selbst der Fels, an dem das Floß beinahe zerschellt wäre, sah nicht mehr so groß aus. Noch immer hörte Brian das Brausen der Wasser wirbel – aber auch dies klang gedämpft.
    Nur war da kein Floß.
    Keine Spur von Derek.
    »Derek!«, schrie Brian und wusste doch: Es war verge bens.
    Er drehte sich um und schaute wieder den Fluss hi nab. Es war ausgeschlossen, dass das Floß sich irgendwo in den Stromschnellen verfangen hatte. Wahrscheinlich war es, von der Strömung getrieben, flussabwärts ge schwommen.
    Was hatte er zuletzt gesehen? Brian runzelte die Stirn vor Anstrengung, sich zu erinnern.
    O ja. Die große Welle am Wasserfall. Der unterge tauchte Felsblock und die Wasserwalze, die das Floß em porgeschleudert hatte – und dann hatte er gesehen, wie das Floß durch die Stromschnellen davonglitt. Er glaubte nicht, dass es gekentert war. Nein, er erinnerte sich, wie es zuletzt unbeschädigt über die Wellen schaukelte.
    Aber Derek?
    Lag er noch immer auf dem Floß? Brian konnte sich nicht erinnern, aber so musste es sein: Bis zum letzten Moment hatte er Derek auf den Balken liegen sehen. Alles war so verwirrend. Anscheinend hatten die Strom schnellen sein Gehirn durchgerüttelt und alles lag wie im Nebel.
    Brian kämpfte gegen die aufkommende Panik.
    Es war unvermeidlich: Das Floß war gekentert, und Derek hatte im Wasser den Tod gefunden. So musste es gewesen sein. Aus und Amen.
    Wie aber, wenn es nicht so gewesen war?
    Dann konnte Derek noch am Leben sein – und es be stand noch Hoffnung.
    »Ich muss herausfinden, ob er noch lebt!«
    Wenn Derek noch am Leben war, wenn er noch auf dem Floß lag, dann musste Brian ihn flussabwärts suchen.
    Er musste ihn einholen. Ja, er musste das Floß einho len.
    So lief er los, am Ufer entlangstolpernd, und anfangs kam er gut vorwärts – etwa fünfzig Meter weit. Der Bo den bestand aus Kies, wahrscheinlich vom

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