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Der fremde Freund - Drachenblut

Der fremde Freund - Drachenblut

Titel: Der fremde Freund - Drachenblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Hein
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sich an den Tisch und aß. Er wollte, daß ich mich zu ihm setze. Ich sagte, daß ich schlafen wolle. Er fragte, ob ich die Fotos selbst gemacht habe und auch selber entwickle. In seiner Gegenwart war mir wohl. Ich empfand meine Müdigkeit als angenehm und kroch wieder insBett. Ich hörte ihm mit geschlossenen Augen zu. Er sprach noch immer über meine Fotos und die Landschaften, die ich aufgenommen hatte. Dann redete er über das Zimmer, sagte, daß alle Leute in diesem Haus ihre Wohnung auf gleiche Art eingerichtet hätten. Das kleine Zimmer, die Türen machen es erforderlich, daß jeder sein Bett dahin, seinen Tisch dorthin zu stellen habe. Möglich sei nur eine einzige Variation, und auch sie ergebe sich zwangsläufig: Wenn jemand Bücher besitze und dafür ein Regal benötige, so müsse dieses neben der Tür aufgestellt werden und das Bett folglich am Fenster. Und wenn er dann noch sehe, bemerkte er vergnügt, daß in den Regalen an dem notwendigerweise gleichen Platz auch noch die gleichen Bücher zu finden seien, so habe er Lust, sich eine Kugel in den Kopf zu schießen. Ich hörte seiner Stimme zu, und mir war angenehm schläfrig. Er stand auf und lief im Zimmer auf und ab. Er starrte aus dem Fenster und ging dann wieder zum Tisch, um etwas zu trinken. Und ich lag in meinem Bett und sah ihm dabei zu. Dann erblickte er in einer Zimmerecke meine goldfarbenen Sandalen mit den hohen Absätzen. Er war begeistert und wollte, daß ich sie sofort anziehe.
    Ich sagte: Sie haben gegessen, nun gehen Sie. Ich brauche meinen Schlaf.
    Er reagierte nicht darauf. Er hielt meine Schuhe in der Hand und lobte sie. Dann setzte er sich in den Sessel, rauchte und starrte aus dem Fenster. Er fragte mich, ob ich gern auf dem Balkon stehe. Er vertrage es nicht.
    Haben Sie Höhenangst, fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf. Nein, sagte er, es ist etwas anderes.
    Dann sprach er über mich und über die Möglichkeiten und Unmöglichkeiten, sich miteinander zu verständigen. Er stellte mir Fragen, die ich nicht beantworten konnte. Dabei lächelte er und trank den Rotwein. Ich verstand ihn nicht. Ich wußte nicht, ob sein Reden und die großen Fragenernst gemeint waren oder er nur einen Spaß machte. Vielleicht war alles nur ein Spiel, eine Art Test, den er mit mir veranstaltete. Er wirkte sehr gelassen und heiter.
    Und was ist mit dem Balkon? erinnerte ich ihn, was hat das damit zu tun?
    Ich fürchte ganz einfach, davonzufliegen, sagte er sehr heiter, oder, wenn du es prosaischer haben willst, herunterzustürzen. Etwas sollte doch passieren: Ich lebe, aber wozu. Der ungeheuerliche Witz, daß ich auf der Welt bin, wird doch eine Pointe haben. Also warte ich.
    Er belustigte mich.
    Die Erfahrung, sagte ich, zeigt, daß diese Gattung von Witzen einen sehr einfachen und üblichen Schluß findet. Und so besonders Sie ihn auch für sich ausdenken, er wird so verwunderlich nicht sein.
    Jaja, sagte er, die Erfahrung. Die Erfahrung konfrontiert uns jedoch gelegentlich mit goldenen Sandalen.
    Und das würde Ihnen genügen? fragte ich.
    Sagen wir für heute abend, bemerkte er einlenkend. Dann fragte er: Bist du noch müde?
    Ich schüttelte den Kopf. Ich wußte nicht, was ich von ihm halten sollte. Und ich hatte keine Lust, darüber nachzugrübeln. Er saß im Sessel und rauchte. Dann drückte er seine Zigarette aus und kam zu mir ins Bett. Ich war zu verwundert, um etwas zu sagen.
    Er schlief unruhig und stand früh auf. Ich wollte ihm Frühstück machen, aber er meinte, ich solle liegenbleiben. Dann küßte er mich vorsichtig und ging. Ich schlief noch einmal ein. Als ich wieder wach wurde, blieb ich im Bett liegen und versuchte mir vorzustellen, wie spät es sei. Dann mußte ich an Frau Luban denken und wie sie durch ihre einen Spalt geöffnete Wohnungstür den Flur bewachte.
    Ich stand auf, duschte lange und setzte Kaffeewasser auf. Dann fuhr ich nach unten, um nach der Post zu sehen. Nurdie Zeitung steckte im Kasten. Als ich zurückkam, war die Küche voll Wasserdampf. Ich machte einen Kaffee und frühstückte im Zimmer. Dabei redete ich mit mir selbst. Früher war es mir unangenehm, mich bei lauten Selbstgesprächen zu ertappen. Inzwischen stört es mich nicht mehr. Es erleichtert irgendwie: Die Radiomusik spielt, und eine menschliche Stimme ist zu hören. Was macht es schon, daß es meine eigene ist.
    Ich mußte an Henry denken und stand auf, ging zur Balkontür und öffnete sie. Ich sah auf die Straße, dann setzte ich mich und frühstückte

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