Der Fremde (German Edition)
immer interessant, von sich sprechen zu hören. Ich kann sagen, dass während der Plädoyers des Staatsanwalts und meines Verteidigers viel von mir gesprochen wurde und vielleicht mehr von mir als von meinem Verbrechen. Waren sie übrigens so verschieden, diese Plädoyers? Der Verteidiger hob die Arme und plädierte auf schuldig, aber mit mildernden Umständen. Der Staatsanwalt streckte die Hände aus und prangerte meine Schuld an, aber ohne mildernde Umstände. Etwas störte mich jedoch irgendwie. Trotz meiner Bedenken war ich manchmal versucht, mich einzumischen, und mein Anwalt sagte dann zu mir: «Seien Sie still, das ist besser für Ihre Sache.» Man schien diese Sache gewissermaßen unabhängig von mir zu verhandeln. Alles lief ohne mein Zutun ab. Mein Schicksal wurde geregelt, ohne dass man nach meiner Meinung fragte. Hin und wieder hatte ich Lust, jeden zu unterbrechen und zu sagen: «Wer ist denn eigentlich der Angeklagte? Es ist doch wichtig, der Angeklagte zu sein. Und ich habe etwas zu sagen!» Aber bei genauerer Überlegung hatte ich nichts zu sagen. Außerdem muss ich zugeben, dass der Reiz des Interessanten, den es hat, wenn sich die Leute mit einem beschäftigen, nicht lange anhält. Zum Beispiel hat mich das Plädoyer des Staatsanwalts sehr schnell gelangweilt. Nur Fragmente, Gesten oder ganze, aus dem Zusammenhang gelöste Tiraden sind mir aufgefallen oder haben mein Interesse geweckt.
Der Kern seiner Überlegungen war, wenn ich recht verstanden habe, dass ich mein Verbrechen vorsätzlich begangen hatte. Zumindest hat er versucht, es zu beweisen. Wie er selbst sagte: «Ich werde den Beweis erbringen, meine Herren, und zwar den doppelten Beweis. Einmal im grellen Licht der Fakten und dann im dunklen Schein, den mir die Psychologie dieser verbrecherischen Seele liefern wird.» Er hat die Tatsachen seit Mamas Tod zusammengefasst. Er hat an meine Gefühllosigkeit erinnert, an meine Unkenntnis, was Mamas Alter betraf, an mein Bad mit einer Frau am nächsten Tag, an das Kino, an Fernandel und schließlich daran, dass ich Marie mit nach Haus genommen hatte. Ich habe in dem Moment einige Zeit gebraucht, um ihn zu verstehen, weil er «seine Geliebte» sagte, und für mich war sie doch Marie. Dann ist er auf Raymonds Geschichte zu sprechen gekommen. Ich fand, dass seine Art, die Ereignisse zu sehen, ziemlich klar war. Was er sagte, war plausibel. Ich hätte den Brief in Übereinstimmung mit Raymond geschrieben, um dessen Geliebte anzulocken und sie den Misshandlungen eines Mannes von «zweifelhafter Moral» auszusetzen. Ich hätte am Strand Raymonds Gegner provoziert. Raymond wäre verletzt worden. Ich hätte seinen Revolver verlangt. Ich wäre allein zurückgekehrt, um mich seiner zu bedienen. Ich hätte den Araber niedergeschossen, wie ich es geplant hätte. Ich hätte gewartet. Und «um sicherzugehen, dass die Arbeit ordentlich erledigt war», hätte ich noch vier Kugeln verschossen, bedächtig, auf sichere Schussweite, gewissermaßen mit Überlegung.
«So, meine Herren», hat der Ankläger gesagt. «Ich habe Ihnen den Lauf der Ereignisse vor Augen geführt, der diesen Mann dazu gebracht hat, im vollen Bewusstsein seines Tuns zu töten. Ich betone das», hat er gesagt. «Es handelt sich nicht um einen gewöhnlichen Mord, um eine unbedachte Tat, der Sie mildernde Umstände zubilligen könnten. Dieser Mann, meine Herren, dieser Mann ist intelligent. Sie haben ihn gehört, nicht wahr. Er weiß zu antworten, er kennt die Bedeutung der Worte. Und man kann nicht sagen, er hätte gehandelt, ohne sich seines Tuns bewusst zu sein.»
Ich hörte zu und vernahm, dass man mich für intelligent hielt. Aber ich verstand nicht, wie aus den Eigenschaften eines gewöhnlichen Menschen erdrückende Belastungsmomente für einen Schuldigen werden konnten. Zumindest hat mich das verblüfft, und ich habe dem Staatsanwalt bis zu dem Augenblick nicht mehr zugehört, als ich ihn sagen hörte: «Hat er wenigstens sein Bedauern ausgedrückt? Nie, meine Herren. Nicht ein einziges Mal im Laufe der Ermittlung schien dieser Mann von seiner abscheulichen Missetat berührt.» In dem Moment hat er sich mir zugewandt und mit dem Finger auf mich gezeigt, während er mich gleichzeitig weiter unter Druck setzte, ohne dass ich in Wirklichkeit richtig verstand, wieso. Sicher, ich musste zugeben, dass er recht hatte. Ich bereute meine Tat nicht sehr. Aber so viel Verbissenheit wunderte mich. Ich hätte gern versucht, ihm herzlich, sogar
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