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Der Fremde (German Edition)

Der Fremde (German Edition)

Titel: Der Fremde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Camus
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anderen hat sich das gleiche Zeremoniell wiederholt. Beim Hereinkommen hat der Pförtner mich angesehen und hat die Augen abgewandt. Er hat die ihm gestellten Fragen beantwortet. Er hat gesagt, ich hätte Mama nicht sehen wollen, ich hätte geraucht, geschlafen und Milchkaffee getrunken. Da habe ich etwas gespürt, was den ganzen Saal ergriff, und zum ersten Mal habe ich verstanden, dass ich schuldig war. Man hat den Pförtner die Geschichte mit dem Milchkaffee und die mit der Zigarette wiederholen lassen. Der Ankläger hat mich mit einem ironischen Leuchten in den Augen angesehen. In dem Moment hat mein Anwalt den Pförtner gefragt, ob er nicht mit mir zusammen geraucht hätte. Aber der Staatsanwalt hat heftig gegen diese Frage Einspruch erhoben: «Wer ist hier der Verbrecher, und was sind das für Methoden, die die Zeugen der Anklage verunglimpfen wollen, um Aussagen zu bagatellisieren, die nichtsdestoweniger vernichtend bleiben?» Trotz allem hat der Vorsitzende den Pförtner aufgefordert, die Frage zu beantworten. Der Alte hat verlegen gesagt: «Ich weiß, dass es ein Fehler war. Aber ich habe nicht gewagt, die Zigarette abzulehnen, die der Herr mir angeboten hat.» Zu guter Letzt hat man mich gefragt, ob ich noch etwas hinzuzufügen hätte. «Nein, nichts», habe ich geantwortet, «bloß, dass der Zeuge recht hat. Es stimmt, dass ich ihm eine Zigarette angeboten habe.» Da hat mich der Pförtner etwas erstaunt und irgendwie dankbar angesehen. Er hat gezögert, dann hat er gesagt, den Milchkaffee hätte er mir angeboten. Mein Anwalt hat laut triumphiert und hat erklärt, die Geschworenen würden es zu beurteilen wissen. Aber der Staatsanwalt hat donnernd über unsere Köpfe hinweg gesagt: «Jawohl, die Herren Geschworenen werden es zu beurteilen wissen. Und sie werden zu dem Schluss kommen, dass ein Fremder Kaffee anbieten durfte, dass ein Sohn im Angesicht des Leichnams derer, die ihm das Leben geschenkt hat, ihn aber ablehnen musste.» Der Pförtner ist zu seiner Bank zurückgegangen.
    Als die Reihe an Thomas Pérez kam, musste ein Gerichtsdiener ihn bis zum Zeugenstand führen. Pérez hat gesagt, er hätte vor allem meine Mutter gekannt und hätte mich nur einmal, am Tag der Beerdigung, gesehen. Man hat ihn gefragt, was ich an jenem Tag gemacht hätte, und er hat geantwortet: «Sie müssen verstehen, ich selbst hatte zu viel Kummer. Darum habe ich nichts gesehen. Vor lauter Kummer war ich nicht in der Lage, etwas zu sehen. Und ich bin sogar ohnmächtig geworden. Darum habe ich den Herrn nicht sehen können.» Der Ankläger hat ihn gefragt, ob er mich wenigstens hätte weinen sehen. Pérez hat verneint. Da hat der Staatsanwalt seinerseits gesagt: «Die Herren Geschworenen werden es zu beurteilen wissen.» Aber mein Verteidiger ist böse geworden. Er hat Pérez in einem Ton, der mir übertrieben schien, gefragt, «ob er gesehen hätte, dass ich nicht weinte». Pérez hat «nein» gesagt. Das Publikum hat gelacht. Und mein Anwalt hat einen Ärmel hochgeschoben und kategorisch gesagt: «Das ist bezeichnend für diesen Prozess. Alles ist wahr, und nichts ist wahr!» Der Staatsanwalt machte ein verschlossenes Gesicht und stach mit einem Stift in die Aufschriften seiner Akten.
    Nach einer fünfminütigen Unterbrechung, in der mein Anwalt mir sagte, alles liefe bestens, wurde Céleste vernommen, der von der Verteidigung vorgeladen war. Die Verteidigung, das war ich. Céleste warf ab und zu Blicke zu mir hinüber und drehte einen Panamahut in den Händen. Er trug den neuen Anzug, den er anhatte, wenn er manchmal sonntags mit mir zum Pferderennen ging. Aber ich glaube, er hatte seinen Kragen nicht anlegen können, denn sein Hemd wurde nur von einem Kupferknopf zusammengehalten. Er wurde gefragt, ob ich Gast bei ihm wäre, und er hat gesagt: «Ja, aber er war auch ein Freund»; was er von mir hielte, und er hat geantwortet, ich wäre ein Mann; was er damit meinte, und er hat erklärt, jeder wüsste doch, was das hieße; ob er bemerkt hätte, dass ich verschlossen war, und er hat nur eingeräumt, dass ich nicht redete, um nichts zu sagen. Der Ankläger hat ihn gefragt, ob ich regelmäßig mein Kostgeld bezahlte. Céleste hat gelacht und hat erklärt: «Das war nebensächlich zwischen uns.» Er wurde noch gefragt, was er von meinem Verbrechen hielte. Da hat er die Hände auf das Geländer gelegt, und man sah, dass er etwas vorbereitet hatte. Er hat gesagt: «Für mich ist es ein Unglück. Ein Unglück, jeder weiß, was das

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