1123 - Der Terror beginnt
Ein Mensch hätte schon sehr gute Augen haben müssen, um den kantigen Gegenstand in der grauen Suppe zu erkennen. Er war breiter und höher als der Steg. Kompakt. Eckig, auch wenn die Wolken jeden Umriß aufsaugten.
Die Gestalt blieb stehen, als sie ihr Ziel erreicht hatte. Sie trug einen langen Mantel, der dunkel an ihr herabhing, aber dabei nicht zu schwer wirkte, weil auch seine Umrisse sich innerhalb des Graus auflösten.
Die Gestalt schien auf etwas zu warten, weil sie ihren Weg nicht fortsetzte. Sie holte etwas unter dem Mantel hervor.
Auch hier war der Nebel ihr Verbündeter, denn der Gegenstand war nicht zu sehen.
Nach einer kurzen Pause ging die unheimliche Gestalt weiter.
Zwei, drei Schritte, dann blieb sie wieder stehen. Es folgte ein krachender Laut, den selbst der Nebel nicht mehr schlucken konnte. Etwas splitterte, weil es wuchtig aus seinem Verbund gerissen wurde.
Vielleicht eine Tür, vielleicht eine Wand. Nichts war zu sehen.
Der Düstere ging weiter.
Er war jetzt überhaupt nicht mehr zu sehen. Das Ziel hatte ihn aufgeschnappt.
Seine Schritte verursachten keine Geräusche.
Dafür entstand etwas anderes.
Ein häßliches Kreischen. In hohen, aber auch in tiefen Tönen. Ein Geräusch, das Schauer erzeugte und nur von einer Kettensäge stammen konnte.
In gleichmäßigen Wellen schwebte das widerliche Geräusch durch den dichten Nebel. Mal böse knurrend, mal jammernd, aber immer präsent. Auf und ab glitt es. Es war eine grausame Vorahnung auf das Kommende.
Es blieb nicht bei diesem Geräusch. Etwas anderes kam hinzu. Schreie!
Schreckliche Schreie, ausgestoßen in höchster Todesangst.
Und der Nebel rötete sich mit dem Blut der Verlorenen…
***
Der Schläfer bewegte seine Hände, so daß sie Krallen bildeten und sich in das Kopfkissen hineingruben. Doch der dünne Stoff hielt, und die Nägel hinterließen keine Löcher.
Der Mann schlief unruhig. Oft zuckte er zusammen. Man hörte auch sein Stöhnen. Es war von schlimmen Alpträumen geprägt. Er konnte auch seinen Kopf nicht ruhig halten. Immer wieder bewegte er ihn. Er drehte ihn nach rechts und links. Er stöhnte schrecklich, schlug um sich und vergrub sein Gesicht im Kissen.
Es war eine schlechte Lage. Der Mann bekam keine Luft mehr, aber er preßte sein Gesicht tiefer in diese weiche Unterlage. Dabei bäumte sich der Oberkörper auf, so daß er beinahe eine Brücke bildete. Es war wie der große Ansturm der Gewalt in den Träumen des Schläfers, der ihn so reagieren ließ.
Der Mann bekam keine Luft mehr. Er mußte den Kopf zur Seite drehen, um wieder atmen zu können. Er wuchtete dabei seinen gesamten Körper herum, hielt den Mund weit offen und saugte die Luft ein.
Es ging ihm besser.
Der Schläfer wurde aus seinen schrecklichen Träumen gerissen und erwachte.
Der Mann war ich!
***
Immer das gleiche. Immer wieder dieser schreckliche Alptraum, der mich seit drei Nächten quälte und mich wie in eine Presse hineindrückte, die mich zerquetschen wollte.
Jetzt war ich wach. Ich schnappte nach Luft, die mir im Schlaf geraubt worden war. Ich lag auch nicht mehr, sondern saß schweißgebadet im Bett und kämpfte noch gegen die schrecklichen Bilder des Traums an, die einfach nicht weichen wollten. Sie hatten sich in meine Erinnerung regelrecht eingebohrt, und sie waren auch deshalb nicht zu löschen, weil die verdammten Träume jeden Nacht zurückkehrten.
Sie waren schlimm.
Immer wieder der gleiche Inhalt.
Ich sah einen Mann, der sich mit einer Kettensäge bewaffnet hatte. Der Mann war dunkel gekleidet.
Er fand seinen Weg durch den dichten Nebel und ging stets auf ein Ziel zu. Ein Gewässer, das in einer einsamen Landschaft lag. Um den See herum gab es keine Orte und auch keine Häuser, bis auf eines.
Es stand auf dem See. So zumindest sah es in meinen Träumen aus. Tatsächlich aber bildete es das Ende des Stegs, der in das Gewässer hineinführte.
Das Haus war ebenso vom Nebel umwabert wie der Steg und die Uferregion des Sees.
Es war immer wieder das Ziel das Mannes. Jede Nacht, in jedem meiner Träume. Er ging darauf zu, er brach ein, und dann steigerte sich der verfluchte Alptraum zu einem Exzeß, denn ich hörte jedesmal das schreckliche Geräusch einer Kettensäge.
Schrille Laute, die für mich nichts anderes als eine Folter waren. Furchtbar anzuhören. Mal dumpf, mal schrill, dann wieder so schrecklich kreischend.
Und in die Laute hinein klangen die Schreie. Monströs, wahnsinnig. So konnten nur Menschen
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