Der Fromme Dieb
behutsam, sprach mit ebenso behutsamer Stimme und war sich einen Moment lang nicht sicher, ob sie ihn überhaupt richtig wahrnahm.
»Er hat Euch mit seiner Klinge gestreift. Laßt es mich lieber sehen.«
»Ein Kratzer«, sagte sie gleichgültig; aber sie ließ ihn den lockeren Ärmel fast bis zur Schulter hochziehen, wo er eine Handbreit aufgeschlitzt war. Die Haut war kaum geschürft, nur ein dünner, weißer Strich war zu sehen, an zwei oder drei Stellen mit winzigen Perlen von Blut verziert. »Nichts Schlimmes! Es wird nicht eitern.«
»Ihr seid heftig gestürzt. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß er Euch so stürmisch angreifen würde. Ihr habt etwas zu früh das Wort ergriffen, ich hatte es Euch ersparen wollen.«
»Ich glaubte, er könne weder lieben noch hassen«, sagte Daalny abwesend. »Ich habe noch nie eine Gemütsregung an ihm bemerkt. Ist er davongekommen?«
Die Frage konnte Cadfael nicht beantworten; er hatte sich dessen nicht vergewissert.
»Mir fehlt nichts«, sagte sie mit fester Stimme, »macht Euch keine Sorgen. Geht zurück und seht, was noch zu tun ist. Bittet die anderen… Bittet sie, mich eine Weile allein zu lassen. Ich brauche die Stille hier. Ich brauche die Sicherheit.«
»Ihr sollt sie haben«, sagte Cadfael und ließ Daalny allein, denn er spürte, daß sie sich ihrer selbst und all ihrer Gedanken, ihrer Worte und Handlungen vielleicht noch nie so sicher gewesen war wie in diesem Augenblick. An der Tür drehte er sich noch einmal um und warf ihr einen letzten Blick zu, wie sie stolz und erhaben dasaß, ihre Hände zu beiden Seiten auf dem Stein liegend, halbgeöffnet, als hielten sie die Insignien der Herrschaft. Um ihre Lippen spielte ein zartes Lächeln, heimlich, einsam, und doch bildete er sich ein – wenn es überhaupt Einbildung war – daß sie nicht allein war.
Man hatte die Satteltasche abgeschnallt und zum Torhaus getragen, um ihren Inhalt auf einem großen, soliden Holztisch auszubreiten. Sie waren zu sechst darum versammelt, bis Cadfael sich als siebter dazugesellte: Abt Radulfus, Prior Robert, Subprior Herluin, Robert Bossu, Rémy de Pertuis und Hugh Beringar, der kurz zuvor vorm Tor abgesessen war und sich hatte berichten lassen, was alles vorgefallen war. Es war Hugh, der auf die stumme Aufforderung des Grafen hin die, wie es schien, bescheidenen Habseligkeiten eines achtbaren Leibdieners zum Vorschein holte – gefaltete Kleider, Rasiermesser, Bürsten, einen Gürtel, ein paar abgetragene, aber gute Handschuhe. Doch schließlich zog Hugh an einem Bändel einen plumpen weichen Lederbeutel hervor, der die Hälfte der Tasche ausgefüllt hatte. Als dieser auf dem Tisch abgestellt war und vor den Augen der erstaunten Zeugen langsam in sich zusammensackte, war unmißverständliches Klirren von Münzen zu hören.
Damit klärte sich zumindest eine Sache auf. Drei der umstehenden erkannten den Beutel sofort. Nach dem lauten Seufzer, der sich Herluins Kehle entrang, drängten sich sogleich die niederen Brüder, sowie Nicol, die beiden Knappen und der bescheidene Laiendiener aus Ramsey näher heran und hielten erwartungsvoll den Atem an.
»Großer Gott!« Herluins Stimme war nur noch staunendes Flüstern. »Ich erkenne ihn wieder. Er lag in der Schatulle, die für Ramsey gedacht war und die auf dem Marienaltar stand, als die Wasserfluten hereinbrachen. Aber was hat das zu bedeuten? Die Schatulle wurde doch auf den Wagen mit dem Bauholz geladen. Wir fanden sie in Ullesthorpe, aufgebrochen und leer, der ganze Inhalt gestohlen…«
Hugh löste die Schnüre des Beutels und neigte ihn ein wenig; aus dem weichen Leder ergoß sich eine Flut von Silbermünzen.
Dann kamen auch noch sperrigere Gegenstände zum Vorschein: ein goldenes Collier, ein doppeltes Armband, ein schwerer, edelsteinbesetzter Halsreif und zwei Ringe, ein massiver Herrensiegelring und ein zierlicher Damenring mit tiefer Gravur. Und schließlich auch noch eine große, ringförmige Brosche aus Rotgold, die als Spange für einen Umhang gedacht und die Arbeit eines sächsischen Meisters war.
Alle standen fassungslos da und konnten es lange nicht begreifen.
»Auch ich erkenne dies hier wieder«, sagte Radulfus bedächtig. »Die Spange habe ich einmal am Umhang von Lady Donata gesehen. Den Ring trug sie immer.«
»Sie schenkte Ramsey die Schmuckstücke, bevor sie starb«, sagte Herluin mit leiser Stimme und bestaunte, was fast wie ein Wunder schien. »All das war in der Schatulle, die ich Nicol
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