Der Fürst des Nebels
Ihrer Spitze fuhr ein blendender Blitz
strahl auf einen der Gipfel der Steilküste herab und zermalmte Tonnen von Stein, und gleich darauf prasselte ein Regen · aus glühenden Splittern auf den Strand.
Alicia schrie und kämpfte, um sich aus der tödlichen Umarmung zu befreien, die sie fesselte, und Roland rannte über die Steine bis zum Meeresufer. Er versuchte gerade, ihr seine Hand zu reichen, als ein starkes Meeresbeben ihn zu Boden warf. Kaum war er wieder aufgestanden, da begann die gesamte Bucht unter seinen Füßen zu zittern, und Roland hörte ein gewaltiges Brausen, das aus den Tiefen emporzusteigen schien. Der Junge wich einige Schritte zurück und bemühte sich, das Gleichgewicht zu halten. Er konnte sehen, wie eine riesige, leuchtende Gestalt aus der Tiefe des Meeres zur Oberfläche stieg und dabei Wellen von einigen Metern Höhe nach allen Seiten hin aufwirbelte. In der Mitte der Bucht entdeckte Roland die Umrisse eines Mastes, der aus dem Wasser auftauchte. Vor seinen ungläubigen Augen kam langsam der Schiffsrumpf der Orpheus zum Vorschein, umhüllt von einem geisterhaften Lichtschein.
Auf der Kommandobrücke stand Cain, eingehüllt in seinen Umhang. Er streckte einen silbernen Stab in den Himmel, und ein neuer Blitz fiel über ihm, der den gesamten Rumpf der Orpheus in gleißendes Licht tauchte. Das Echo seines grausamen Gelächters erfüllte die Bucht, während die gespenstischen Nebelklauen Alicia zu seinen Füßen fallen ließen.
»Dich will ich haben. Jacob«, flüsterte die Stimme von Cain in Rolands Kopf. »Wenn du nicht willst, daß sie stirbt, komm sie holen.. .«
Kapitel 16
M ax fuhr mit seinem Fahrrad durch den Regen, als ihn der Blitzstrahl erschreckte und ihm das Bild der Orpheus zeigte, die aus der Tiefe emportauchte, durchdrungen von einem hypnotisierenden Leuchten, das ihr Metall selbst ausstrahlte. Cains altes Schiff fuhr erneut auf dem tobenden Wasser der Bucht. Max radelte, bis ihm der Atem ausging; er befürchtete, die Hütte erst zu erreichen, wenn es schon zu spät war. Er hatte den alten Leuchtturmwärter hinter sich gelassen. Als Max am Strand ankam, sprang er vom Fahrrad und rannte zu Rolands Hütte. Er entdeckte, daß die Tür mit Stumpf und Stiel ausgerissen war, und sah die gelähmte Gestalt seines Freundes am Meeresufer stehen. Wie verhext starrte Roland das Geisterschiff an, das durch die Brandung pflügte. Max dankte dem Himmel und lief, ihn zu umarmen.
»Bist du in Ordnung?« schrie er gegen den Wind, der auf den Strand peitschte.
Roland warf ihm einen panischen Blick zu, wie der eines verletzten Tieres, das seinem Jäger nicht entkommen kann. Max schaute in das kindliche Gesicht, das die Kamera vor den Spiegel gehalten halte, und ein Schauder überlief ihn.
»Er hat Alicia«, sagte Roland schließlich.
Max wußte, daß sein Freund nicht verstand, was sich tatsächlich ereignete, und daß es zu kompliziert wäre, ihm jetzt alles zu erklären. »Egal, was passiert«, stieß er hervor, »geh weg von ihm. Hast du mich verstanden? Geh weg von Cain.«
Roland ignorierte seine Worte und stieg ins Wasser hinein, bis die Brandung ihm bis zur Taille reichte. Max folgte ihm und versuchte ihn zurückzuhalten, aber Roland stieß ihn mit Gewalt von sich, stürzte ins Wasser und schwamm Richtung Schiff. »Warte?« schrie Max. »Du weißt doch nicht, was los ist! Er sucht dich!«
»Ich weiß schon«, erwiderte Roland, ohne ihm die Zeit zu lassen, ein weiteres Wort zu sagen.
Max sah, wie sein Freund in die Wellen tauchte und wenige Meter entfernt wieder hochkam; er schwamm zur Orpheus . Die vernünftige Hälfte seines Ichs bat Max flehentlich, zur Hütte zurückzulaufen und sich unter der Pritsche zu verstecken, bis alles vorüber wäre. Doch wie immer hörte Max auf die andere Hälfte und warf sich hinter seinem Freund ins Wasser, in der Überzeugung, daß er diesmal nicht lebend an Land zurückkehren würde.
Cains lange, in einen Handschuh gehüllte Finger schlossen sich über Alicias Handgelenk wie eine Zange. Das Mädchen spürte, wie der Magier an ihr zog und sie über das schlüpfrige Deck der Orpheus schleifte. Alicia versuchte, sich aus dem Griff zu befreien, indem sie all ihre Kräfte aufwandt. Cain drehte sich um, hob sie ohne die geringste Anstrengung in die Luft empor und näherte sein Gesicht bis auf wenige Zentimeter dem ihren. Alicia konnte sehen, wie die Pupillen seiner vor Wut glühenden Augen sich weiteten und ihre Farbe veränderten, von Blau zu Gold.
»Ich
Weitere Kostenlose Bücher