Der Fürst des Nebels
wartete auf Victor Krays Reaktion. Der schloß halb die Augen und seufzte niedergeschlagen.
»Ich glaube, ich verstehe dich nicht. Max«, murmelte er.
»Sie verstehen mich sehr gut. Ich weiß, daß Sie mich angelogen haben. Señor Kray«, sagte Max und sah dem Alten anklagend ins Gesicht. »Und ich weiß, wer Roland in Wirklichkeit ist. Sie haben uns von Anfang an belogen. Warum?«
Victor Kray richtete sich auf und lief zu einem der Fenster, um einen flüchtigen Blick nach draußen zu werfen, als erwarte er die Ankunft irgendeines Besuchs. Ein neuer Donnerschlag ließ das Haus am Strand erbeben. Das Gewitter kam der Küste immer näher, und Max konnte das Rauschen der Brandung hören, die im Meer tobte.
»Sag mir, wo Roland ist, Max«, beharrte der Alte noch einmal. Er hörte nicht auf zu überwachen, was draußen vor sich ging. »Es gibt keine Zeit zu verlieren.«
»Ich weiß nicht, ob ich Ihnen vertrauen kann.
Wenn Sie möchten, daß ich Ihnen helfe, müssen Sie mir zuerst die Wahrheit erzählen«, forderte Max, der nicht zulassen wollte, daß der Leuchtturmwärter ihn erneut in Unklarheit ließ.
Der Alte wandte sich ihm zu und sah ihn streng an. Max hielt seinem Blick hartnäckig stand. Er wollte sich nicht einschüchtern lassen. Victor Kray schien das zu begreifen und sank in einem Lehnstuhl zusammen. Er war geschlagen.
»In Ordnung. Max. Ich werde dir die Wahrheit er zählen, wenn es das ist, was du willst«, murmelte er. Max setzte sich ihm gegenüber und nickte. Er war bereit, ihm erneut zuzuhören.
»Fast alles, was ich euch neulich im Leuchtturm erzählte, ist wahr gewesen«, begann der Alte. »Mein alter Freund Fleischmann hatte Dr. Cain versprochen, er werde ihm seinen ersten Sohn dafür opfern, daß er Eva bekam. Ein Jahr nach der Hochzeit, als ich bereits den Kontakt zu den beiden verloren hatte, erhielt Fleischmann auf einmal Besuche von Dr. Cain, der ihn an den Inhalt ihres Paktes erinnerte. Fleischmann versuchte tatsächlich mit allen Mitteln, die Geburt eines Kindes zu verhindern, und seine Ehe nahm schweren Schaden dadurch. Nach dem Schiffbruch der Orpheus fühlte ich mich verpflichtet, ihnen zu schreiben und sie von der Verdammung zu befreien, die sie jahrelang unglücklich gemacht hatte. Ich vertraute darauf, daß die Bedrohung durch Dr. Cain für immer auf dem Meeresgrund versunken war. Oder zumindest war ich so töricht, mir das selbst einzureden. Fleischmann fühlte sich in meiner Schuld, und er wollte, daß wir drei, Eva, er und ich, wieder zusammensein sollten wie in den Jahren an der Universität. Das war natürlich unsinnig. Es waren zu viele Dinge passiert.
Trotzdem hatte er den verrückten Einfall, das Haus am Strand bauen zu lassen, unter dessen Dach einige Zeit später sein Sohn Jacob geboren werden sollte.
Der Kleine war ein Segen des Himmels; er gab den beiden die Freude am Leben zurück. Doch genau seit der Nacht seiner Geburt wußte ich, daß irgend etwas nicht in Ordnung war, denn am frühen Morgen dieser Nacht träumte ich wieder von Dr. Cain. Während der Junge heranwuchs, waren Fleischmann und Eva so blind vor Freude, daß sie die Bedrohung nicht bemerkten, die über ihnen schwebte. Beide gaben ihr Letztes, um das Kind glücklich zu machen und all seine Wünsche zu erfüllen. Nie war ein Kind auf Erden so verwöhnt und verhätschelt worden wie Jacob Fleischmann.
Aber nach und nach wurden die Anzeichen von Cains Gegenwart immer deutlicher. Eines Tages verirrte sich Jacob, der damals fünf Jahre alt war, als er auf dem hinteren Huf spielte. Fleischmann und Eva suchten ihn verzweifelt, stundenlang, aber es gab keine Spur von ihm. Als die Nacht hereinbrach, nahm Fleischmann eine Lampe und ging in den Wald, da er befürchtete, der Kleine sei im Gestrüpp vom Weg abgekommen und habe einen Unfall gehabt. Fleischmann erinnerte sich daran, daß es, als sie das Haus gebaut hatten, am Waldrand einen kleinen, umzäunten leeren Platz gegeben hatte.
Allem Anschein nach hatte er vor langer Zeit zu einem alten Hundezwinger gehört, den man Anfang des Jahrhunderts niedergerissen hatte. Es war der Ort, wo man die Tiere einsperrte, die geopfert werden sollten. In dieser Nacht kam Fleischmann unwillkürlich auf den Gedanken, daß das Kind vielleicht dort hinein gegangen und auf irgendeine Weise eingesperrt worden war. Seine Vorahnung war richtig, aber er fand nicht nur seinen Sohn dort. Der Platz, der vor Jahren leer gewesen war, wurde nun von Skulpturen bevölkert. Jacob spielte zwischen den
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