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Der Fürst des Nebels

Der Fürst des Nebels

Titel: Der Fürst des Nebels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carlos Ruiz Zafón
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erneut daran. Es gelang ihm, das Rad Stück für Stück weiterzudrehen, doch allmählich bedeckte das eiskalte Wasser auch sein Gesicht, und schließlich überflutete es den gesamten Korridor. Dunkelheit legte sich über die Orpheus .
Dann aber öffnete sich mit einem Ruck die Tür, und Roland tauchte ins Innere der finsteren Kajüte. Während er auf der Suche nach Alicia blindlings umhertastete, glaubte er einen schrecklichen Moment lang, der Magier habe ihn betrogen und es sei gar niemand darin. Er öffnete unter Wasser die Augen und versuchte, etwas in der Dunkelheit zu erkennen, während er gegen das Brennen ankämpfte. Endlich umfaßten seine Hände ein Stück Stoff von Alicias Kleid. Alicia wehrte sich gegen das Ersticken, sie war wie wahnsinnig vor Panik. Er umarmte sie und versuchte, sie zu beruhigen, aber das Mädchen begriff in der Dunkelheit nicht, wer oder was sie da festhielt. In dem Bewußtsein, daß ihnen nur wenige Augenblicke blieben, packte er sie und zog sie hinaus auf den Korridor bis zur Brücke. Das Schiff sank währenddessen unaufhaltsam weiter in die Tiefe. Roland wußte, daß sie nicht aus dem Schiff herauskommen konnten, bevor es auf Grund gelaufen war. Wenn sie es vorher versuchten, würde die Kraft des Soges sie rettungslos zurückziehen nach unten. Andererseits wußte er auch, daß schon mindestens dreißig Sekunden vergangen waren, seit Alicia zum letzten Mal geatmet hatte. In ihrem Zustand der Panik hatte sie womöglich schon begonnen, Wasser einzuatmen. Der Aufstieg zur Oberfläche wäre wahrscheinlich der Weg in einen sicheren Tod für sie. Cain hatte sein Spiel sorgfältig vorbereitet.
Das Warten darauf, daß die Orpheus auf Grund liefe, zog sich endlos hin. Als der Aufprall kam, stürzte ein Teil des Dachwerks von der Brücke über Alicia und Roland zusammen. Ein heftiger Schmerz stieg in seinem Bein hoch, und Roland bemerkte, daß das Metall ihm einen Fußknöchel eingeklemmt hatte. Er suchte im Halbdunkel Alicias Gesicht. Alicia hatte die Augen geöffnet, und jetzt endlich erkannte sie ihn. Sie war kurz vor dem Ersticken und konnte den Atem keine Sekunde länger anhalten. Die letzten Luftblasen kamen zwischen ihren Lippen hervor wie Perlen, die die wenigen verbliebenen Momente ihres Lebens davontrugen.
Roland nahm ihr Gesicht zwischen die Hände und versuchte Alicia dazu zu bringen, daß sie ihm in die Augen sah. Ihre Blicke vereinten sich in der Tiefe des Meeres, und Alicia begriff sofort, was Roland vorhatte. Sie schüttelte den Kopf und versuchte. Roland von sich wegzustoßen. Roland zeigte auf seinen Knöchel, der in einer tödlichen Umarmung zwischen den Metallträgern des Daches eingeklemmt war. Alicia schwamm durch das eiskalte Wasser zu dem niedergestürzten Dachträger und bemühte sich. Roland zu befreien. Die beiden tauschten einen verzweifelten Blick. Nichts und niemand konnte den tonnenschweren Stahl bewegen, der auf Roland lastete. Alicia schwamm wieder auf ihn zu und umarmte ihn, während ihr eigenes Bewußtsein durch den Luftmangel langsam dahinschwand. Ohne einen Moment lang zu warten, nahm Roland Alicias Gesicht zwischen die Hände und atmete, indem er seine Lippen auf die des Mädchens legte, in ihren Mund all die Luft hinein, die er für sie aufgehoben hatte, genau so, wie Cain es von Anfang an vorgesehen hatte. Alicia sog die Luft durch seine Lippen ein und drückte kräftig Rolands Hände, vereint mit ihm in diesem Kuß der Erlösung.
Der Junge richtete zum Abschied einen verzwei
    felten Blick auf sie und stieß sie gegen ihren Willen aus der Brücke hinaus, wo Alicia langsam ihren Aufstieg zur Oberfläche begann. Das war das letzte Mal, daß Alicia Roland sah. Sekunden später tauchte das Mädchen mitten in der Bucht auf. Von dort aus sah sie, wie sich das Unwetter langsam seewärts zurückzog. Es nahm alle Hoffnungen mit sich, die sie je in die Zukunft gesetzt hatte.
    Als Max Alicias Gesicht an die Oberfläche kommen sah, stürzte er sich erneut ins Meer und schwamm eilig zu ihr hin. Seine Schwester konnte sich kaum über Wasser halten und stammelte unverständliche Wörter, wobei sie heftig hustete und das Wasser ausspuckte, das sie bei ihrem Aufstieg aus der Tiefe geschluckt hatte. Max packte sie unter den Achseln und schleppte sie bis dorthin, wo er wieder stehen konnte, ein paar Meter vom Ufer entfernt. Der alte Leuchtturmwärter wartete am Strand und rannte, um ihnen zu Hilfe zu kommen. Gemeinsam zogen sie Alicia aus dem Wasser und legten sie in den

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