Der Gamma-Stoff
die Gesellschaft, nichts für die Menschheit. Er war zu beschäftigt gewesen, um zu heiraten, zu beansprucht, um Kinder in die Welt zu setzen. Sein Beruf: Geld verdienen.
Dr. Pearce war nicht der Ansicht, daß ein Mann mit Geld grundsätzlich ein Schurke sein mußte. Aber jeder, der eine Million Dollar oder ein Vielfaches davon machte, mußte zum großen Teil Raubvogel sein, der Rest Elster.
Dr. Pearce wußte, warum Jansen sich Sorgen machte. Wenn Weaver starb, starb Geld, starb Macht. Geld und Macht sind nicht immun gegen den Tod, und wenn sie stürzen, reißen sie Reiche mit sich.
Dr. Pearce starrte auf Weaver hinunter, während ihn die Gedanken bewegten, und es spielte keine Rolle. Er war trotzdem einer von uns, war ein Mensch, war am Leben. Also war es der Mühe wert, daß man ihn rettete. Keine andere Überlegung kam dagegen auf.
Zwei Halbliterflaschen hingen von dem metallenen ›T‹ – die klare, antiseptische Salzlösung und der dunkle Lebenssaft. Ein gläsernes Gelenk vereinigte zwei Kunststoffschläuche zu einem. Darunter ein Filter. Am Ende des Schlauches eine Kanüle.
Die Krankenschwester nahm die Klammer vom Schlauch unterhalb der Kochsalzlösung. Das Salzwasser, kleine Blasen werfend, lief durch den Schlauch, das Gelenk, den Filter und spritzte aus der Kanüle. Die Schwester klammerte über der Kanüle ab.
Jetzt waren die Schläuche gefüllt, keine Luftblasen zeigten sich mehr, die in der Vene des Patienten zu einer Embolie hätten führen können.
Die Schwester wartete, während Pearce die Kanüle nahm und Weavers Arm betrachtete.
Die Unterarmvene zeigte sich an der Ellenbeuge dick angeschwollen. Pearce betupfte sie mit Alkohol und Jod, führte die Kanüle ein und befestigte sie mit Leukoplast. Er nickte der Schwester zu.
Sie entfernte die Klammer unter der Blutflasche. Langsam färbte sich das Wasser rot, dann begann es dunkel zu wirbeln, als sie vorsichtig die untere Klammer öffnete. Binnen einer Sekunde war alles Blut, lief langsam durch den langen, durchsichtigen Schlauch in die Vene, neues Blut, das dem alten, verbrauchten Mechanismus auf dem harten Krankenhausbett Leben zuführte.
Neues Blut für altes, dachte Pearce. Mit Geld kann man alles kaufen.
»Ein bißchen schneller.«
Die Schwester öffnete die Klammer ein Stückchen weiter. Das Blut begann schneller zu rinnen.
Leben, tropfend, fließend. Altes erneuernd.
Der alte Mann atmete tief. Die erschöpften Bewegungen seiner Brust ließen nach.
Dr. Pearce betrachtete das alte Gesicht, die gebogene Nase, die schmalen, blutleeren Lippen, die selbst jetzt noch grausam wirkten.
Neues Leben, vielleicht. Aber nichts vermag den Verschleiß der Jahre wettzumachen. Die Zellen verbrauchen sich. Nichts kann sie neu erschaffen.
Tropfen um Tropfen rann das Blut aus der Flasche durch den Schlauch in die Vene des alten Mannes. Jemand hatte es gegeben oder verkauft. Ein junger und gesunder Mensch, der immer wieder purpurnen Lebensstoff zu erzeugen vermochte, voll von gesunden, roten Blutkörperchen, lebenskräftigen weißen Unratsverzehrern, Plättchen, vielfältigen Proteinen. Jemand, der diesen halben Liter in nicht einmal neunzig Tagen zu ersetzen vermochte.
Dr. Pearce dachte an Richard Lower, den englischen Anatomen aus dem siebzehnten Jahrhundert, der die erste Transfusion durchgeführt hatte und an den Wiener Immunitätsforscher Karl Landsteiner, der die Gefährlichkeit der Transfusionen beseitigt hatte, als er die miteinander nicht verträglichen Blutgruppen entdeckte.
Und hier lag dieser alte Mann, der durch Lowers und Landsteiners Bemühungen und – er schaute neugierig auf die Flasche und las den auf dem Kopf stehenden Vermerk – durch die Freigebigkeit eines Spenders namens Cartwright Blut in seine Venen saugte; dieser alte Mann, der es brauchte, der die roten Blutkörperchen nicht mehr schnell genug erzeugen, der ihren Verlust durch die Geschwürblutung nicht mehr wettmachen konnte.
Was hier durch die Schläuche tropfte, war Leben, ein Geschenk der Jungen an die Alten, der Gesunden an die Kranken.
Die Lider des alten Mannes zuckten.
Als Dr. Pearce seine Vormittagsvisite machte, beobachtete ihn der alte Mann mit matten blauen Augen. Dr. Pearce blinzelte erstaunt, griff noch einmal nach dem mageren Handgelenk und zählte automatisch.
»Fühlen wir uns besser?«
Zum zweitenmal wurde er verblüfft. Der alte Mann nickte.
»Fein, Mr. Weaver. Wir flößen Ihnen ein bißchen Nahrung ein und nach einer Weile sind Sie wieder ganz
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