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Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd

Titel: Inspektor Jury sucht den Kennington-Smaragd Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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    In der Londonder Underground tat sich nicht viel um diese Zeit – zwischen Mittagspause und Büroschluß –, als Katie O’Briens Violine die letzten klagenden Töne eines Nocturne von Chopin durch den gekachelten Korridor schweben ließ.
    Äußerst selten schwebte in den Gängen der Wembley-Knotts-Station etwas anderes durch die Luft als Ruß. Katie zupfte an den Saiten und überlegte sich, was sie als nächstes spielen sollte. Niedergeschlagen inspizierte sie den offenen Geigenkasten: Paganini hatte ihr keine einzige Zehn-Pence-Münze eingebracht, Beethoven auch nicht. Überhaupt war zu den paar Münzen, die sie selbst hineingelegt hatte, nur eine einzige hinzugekommen, ein Fünf-Pence-Stück von einem verwahrlosten, neunjährigen Jungen, der aussah, als hätte er sich besser Milch dafür gekauft. Doch er hatte Katie zwei ganze Minuten lang seine uneingeschränkte Aufmerksamkeit geschenkt und dabei rhythmisch den Kopf hin und her gewiegt, als wäre ein kleiner Dirigent darin eingesperrt. Ohne zu lächeln hatte er dann seine Münze hingelegt und war weitergegangen, bis er schließlich vom Labyrinth der graubraunen Gänge verschluckt wurde. In der letzten Viertelstunde war der Junge ihr einziger Zuhörer gewesen. Charing Cross, King’s Cross oder Piccadilly hätten bestimmt mehr eingebracht, wären aber auch viel gefährlicher gewesen. In diesen Bahnhöfen wimmelte es gewöhnlich nur so von Bullen. Sie schienen nichts Besseres zu tun zu haben, als den Straßenmusikanten das Leben schwer zu machen – den Gitarre- und Akkordeonspielern, die ständig zahlreicher wurden mit ihren offenen Kästen, ihren Balladen und ihren Liedern.
    Ein Fünf-Pence-Stück. Wenn das so weiterging, würde sie nie genügend zusammenkriegen, nicht einmal für einen neuen Lippenstift, geschweige denn für das rosarote Satinhemd, auf das sie scharf war. Allein für die Jeans und die Bluse, die sie trug, hatte sie sechs Monate lang immer wieder hier aufspielen müssen.
    Sie mußte bald zusammenpacken, denn sie wollte sich noch umziehen, bevor sie den Zug nach Highbury nahm. Das Kleid lag sorgfältig gefaltet in ihrer großen Schultertasche, die außerdem noch den neuesten Heartwind-Liebesroman und einen Cadbury-Schokoladenriegel enthielt. Auch eine Zeitung, den Telegraph , hatte sie gekauft, jedoch nur, um die Jeans und das azaleenfarbene T-Shirt damit zu bedecken, falls ihre Mutter in die Tasche schaute. Katie O’Brien zupfte an den Saiten ihrer Violine und seufzte.
    In dem hohlen Tunnel hallten die Töne von den Wänden wider. In der Ferne war das Rumpeln eines Zugs zu hören, und ein weiterer Windstoß blies ihr die Haare ins Gesicht und Ruß in die Augen; er wirbelte die Papierfetzen zu ihren Füßen auf, als würde jemand am andern Ende die ganze Luft ansaugen. Ohne auf ihre neue Bluse zu achten, lehnte sie sich gegen die Wand und fragte sich, was sie als nächstes spielen sollte, ob es sich überhaupt lohnte, weiterzumachen. An der gegenüberliegenden Wand hing ein Evita Peron -Plakat. Die ganze Wand war über und über beklebt mit Werbung für Filme, Ausstellungen und Reiseziele. Evita trug ein trägerloses Kleid, die Arme hatte sie in einer Art Siegerpose erhoben. Vor ihr war ein Wald von Mikrofonen aufgebaut. Die schimmernden Lippen verunzierte ein Schnurrbart, auf die Corsage waren zwei spitze Brustwarzen aufgemalt, und in den hocherhobenen Händen hielt sie Hammer und Sichel.
    Katie fragte sich, wie jemand die Zeit und Gelegenheit gefunden hatte, das Plakat so zu verschmieren, und sagte sich dann, daß so was überhaupt kein Problem war, zumindest nicht um diese Zeit in Wembley Knotts. Außer dem kleinen Jungen mit dem Fünf-Pence-Stück war kein Mensch vorbeigekommen.
    Sie hörte Schritte in der Ferne und schob sich die Violine unters Kinn. Als die Schritte in dem zugigen Tunnel näherkamen, fing sie an zu spielen; sie hoffte, ‹Don’t Cry for Me, Argentina› würde erfolgreicher sein als das Nocturne. Sie schloß die Augen, als sei sie ganz in die Musik versunken. Einen Augenblick später sah sie, wie die Füße vor dem Gitter unter dem Plakat stehenblieben und schmückte die Melodie in Erwartung des Ping der Münzen im Geigenkasten mit ein paar Schnörkeln. Den Blick hielt sie jedoch gesenkt, als würde das Geld sie überhaupt nicht interessieren.
    Deshalb traf es sie auch völlig überraschend.
    Der brutale Schlag auf den Hinterkopf ließ sie in die Knie gehen, und der schmutzige, ockerfarbene Fußboden des Tunnels

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