Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Titel: Der Gang vor die Hunde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
Vom Netzwerk:
mir bewegte und mich mit den Armen umklammerte, das Gesicht wie eine Maske abreißen mögen. Sie log. Aber wen wollte sie belügen? Nur mich, oder sich selber auch? Da sie, obwohl ich sie brieflich wiederholt dazu aufforderte, Erklärungen vermied, mußte ich tun, was ich getan habe. Ich verabschiedete mich in der Nacht, in der wir die Initiativgruppe gegründet hatten, von Rassow und den Andern sehr bald und begab mich zu dem Haus, in dem Leda wohnt. Die Fenster waren dunkel. Vielleicht schlief sie schon. Aber mir war nicht nach Logik zumute. Ich wartete.«
    Labudes Stimme schwankte. Er griff auf den Schreibtisch, nahm mehrere Bleistifte und rollte sie nervös zwischen den Händen. Das hölzerne, klappernde Geräusch begleitete den Fortgang des Berichts. »Die Straße ist breit und nur an einer Stelle bebaut. Die andere Seite grenzt an Blumenbeete, Wiesen, Wege und Gebüsch, und dahinter liegt die Außenalster. Dem Haus gegenüber steht eine Bank. Dorthin setzte ich mich, rauchte zahllose Zigaretten und wartete. So oft jemand die Straße entlang kam, dachte ich, das müsse Leda sein. So saß ich von zwölf Uhr nachts bis drei Uhr morgens, ersann heftige Gespräche und böse Bilder. Und die Zeit verging. Kurz nach Drei bog ein Taxi in die Straße und hielt vor dem Haus. Ein großer schlanker Mann stieg aus und bezahlte den Schofför. Dann sprang eine Frau aus dem Wagen, eilte zur Tür, schloß auf, trat ins Haus, hielt die Tür, bis der Mann gefolgt war, und schloß von innen wieder zu. Das Auto lenkte um und fuhr in die Stadt zurück.«
    Labude war aufgestanden. Er warf die Bleistifte auf den Schreibtisch, ging rasch im Zimmer auf und ab und machte in der äußersten Ecke, dicht vor der Wand, halt. Er blickte auf das Tapetenmuster und zeichnete es mit dem Finger nach. »Es war Leda. In ihren Fenstern wurde Licht. Ich sah, wie sich zwei Schatten hinter den Gardinen bewegten. Das Wohnzimmer wurde wieder dunkel. Jetzt erhellte sich das Schlafzimmer. Die Balkontür stand halb offen. Manchmal hörte ich Leda lachen. Du entsinnst dich, sie lacht so merkwürdig hoch. Manchmal war es ganz still, droben im Haus und unten auf meiner Straße, und ich hörte bloß, wie mein Herz schlug.«
     
    In diesem Augenblick wurde die Tür aufgerissen. Justizrat Labude trat ein, ohne Hut und Mantel. »Tag, Stephan!« sagte er, kam näher und gab seinem Sohn die Hand. »Lange nicht gesehen, was? War ein paar Tage unterwegs. Mußte mal ausspannen. Die Nerven, die Nerven. Komme eben zurück. Wie geht’s? Siehst schlecht aus. Sorgen? Was über die Habilitationsschrift gehört? Nein? Langweilige Bande. Hat Mutter geschrieben? Mag noch paar Wochen bleiben. Heißt mit Recht Paradiso, das Nest. Hat’s die Frau gut. Tag, Herr Fabian. Seriöse Gespräche, wie? Gibt es ein Fortleben nach dem Tode? Im Vertrauen gesagt, es gibt keins. Muß alles vor dem Tode erledigt werden. Alle Hände voll zu tun. Tag und Nacht.«
    »Fritz, nun komm aber endlich!« rief im Treppenhaus eine Frauenstimme.
    Der Justizrat zuckte die Achseln. »Da habt ihr’s. Kleine Sängerin, großes Talent, keine Beschäftigung. Kann sämtliche Opern auswendig. Bißchen laut auf die Dauer. Na, Wiedersehen. Amüsiert euch lieber, statt die Menschheit zu erlösen. Wie gesagt, das Leben muß noch vor dem Tode erledigt werden. Zu näheren Auskünften gern bereit. Nicht so ernst, mein Junge.« Er gab beiden die Hand, ging und warf die Tür ins Schloß.
     
    Labude hielt sich nachträglich die Ohren zu, trat an den Schreibtisch, dachte eine Weile nach und fuhr dann in seiner Erzählung fort. »Gegen fünf Uhr früh begann es zu regnen. Nach Sechs hörte es auf. Der Himmel wurde hell, und der Tag fing an. In dem Schlafzimmer brannte noch immer Licht. Das sah im Morgengrauen seltsam aus. Um Sieben verließ der Mensch das Haus. Er pfiff, als er aus der Tür trat, und blickte nach oben. Leda stand in ihrem japanischen Schlafrock auf dem Balkon und winkte. Er winkte wieder. Sie breitete den Schlafrock für einen Moment weit auseinander, damit er ihren Körper noch einmal sehe. Er warf Kußhändchen, es war zum Speien. Er ging pfeifend die Straße hinunter. Ich senkte den Kopf. Oben wurde die Balkontür geschlossen.«
    Fabian wußte nicht, wie er sich verhalten sollte. Er blieb sitzen. Plötzlich hob Labude den Arm und schlug mit der Faust auf den Schreibtisch. »Diese Kanaille!« schrie er. Fabian sprang vom Sofa auf, aber der Andere winkte ab und sagte ganz ruhig: »Schon gut. Höre weiter.

Weitere Kostenlose Bücher