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Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Titel: Der Gang vor die Hunde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
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Mittags telefonierte ich. Sie war erfreut, daß ich wieder einmal da sei. Warum ich nicht geschrieben habe. Ob ich um fünf Uhr kommen wolle. Die wissenschaftlichen Arbeiter hörten seit ein paar Wochen früher auf. Ich lief durchs Hafenviertel, bis es soweit war. Dann fuhr ich hin. Sie hatte Tee und Kuchen zurechtgestellt und begrüßte mich zärtlich. Ich trank eine Tasse Tee und sprach über gleichgültige Dinge. Dann begann sie sich automatisch zu entkleiden, nahm den Kimono um und legte sich auf die Couch. Da fragte ich, wie sie darüber dächte, wenn wir unsere Beziehung lösten. Sie fragte, was mit mir los sei. Es gelte doch für ausgemacht, daß wir heirateten, sobald ich mich habilitiert habe. Ob ich sie nicht mehr liebe. Ich erklärte, daß es sich darum jetzt nicht handle. Die zunehmende Entfremdung, an der sie die Schuld trage, lasse das Auseinandergehen ratsam erscheinen.
    Sie räkelte sich, gab dem Schlafrock Gelegenheit, zur Seite zu gleiten, und meinte mit kindischer Stimme, ich sei so kalt. Und die Entfremdung scheine, wie die eindeutige Situation eindeutig beweise, eher an mir als an ihr zu liegen. Sie gab zu, daß es schwer sei, die Strecke zwischen Hamburg und Berlin seelisch zu überbrücken. Und auch in sexueller Beziehung gebe es Konflikte. Wenn sie mich haben wolle, sei ich nicht da, und wenn ich da sei, müsse die Liebe wie ein Mittagbrot erledigt werden, ob man Hunger habe oder nicht. Aber wenn wir erst verheiratet wären, würde das anders. Ich solle übrigens nicht böse sein. Sie habe vor mehreren Wochen einen ärztlichen Eingriff vornehmen lassen. Sie wolle unsere Kinder als meine Frau zur Welt bringen, nicht vorher. Mitgeteilt habe sie mir den kleinen Unfall nicht, um mich nicht zu ängstigen. Sie sei aber wieder auf dem Posten, und ich solle mich nun endlich neben sie setzen. Sie habe Sehnsucht.
    Von wem war das wieder rückgängig gemachte Kind? fragte ich. Sie setzte sich auf und zog ein gekränktes Gesicht.
    Und wer war der Mann, der heute nacht bei dir schlief? fragte ich weiter.
    Du siehst Gespenster, sagte sie. Du bist eifersüchtig, es ist geradezu albern.
    Da gab ich ihr eine Ohrfeige und ging fort. Sie lief hinter mir her, die Treppe hinunter, bis vor die Tür. Dort stand sie, nackt, im wehenden Schlafrock, nachmittags gegen Sechs, und rief, ich solle bleiben. Aber ich rannte davon und fuhr zur Bahn.«
    Fabian trat hinter Labude und legte die Hände auf die Schultern des Freundes. »Warum hast du mir das nicht schon gestern erzählt?«
    »Na, ich komme schon drüber weg«, sagte Labude. »Mich so zu belügen.«
    »Aber was hätte sie tun sollen? Die Wahrheit sagen?«
    »Ich kann nicht mehr darüber nachdenken. Mir ist, als sei ich schwer krank gewesen!«
    »Du bist noch krank«, meinte Fabian. »Du hast sie noch lieb.«
    »Das ist wahr«, sagte Labude. »Aber ich bin schon mit ganz anderen Kerlen fertig geworden als mit mir.«
    »Wenn sie dir nun schreibt?«
    »Der Fall ist erledigt. Ich habe fünf Jahre damit zugebracht, unter einer falschen Voraussetzung zu leben, das reicht. Das Schlimmste habe ich dir noch nicht gesagt. Sie liebt mich nicht, und sie hat mich nie lieb gehabt! Erst jetzt, nach dem Schlußstrich, geht plötzlich die Rechnung auf. Erst als sie neben mir lag und mich kaltblütig belog, verstand ich die vergangenen Jahre. In fünf Minuten verstand ich alles. Zu den Akten!« Labude schob den Freund zur Tür. »Jetzt gehen wir. Ruth Reiter hat uns eingeladen. Komm, ich habe Verschiedenes nachzuholen.«
    »Wer ist Ruth Reiter?«
    »Ich lernte sie heute kennen. Sie hat ein Atelier und bildhauert, wenn man ihr glauben darf.«
    »Modellstehen wollte ich schon immer mal«, sagte Fabian und zog den Mantel an.

Neuntes Kapitel Sonderbare junge Mädchen – Ein Todeskandidat wird lebendig – Das Lokal heißt »Cousine«
    »Endlich ein paar Männer!« rief die Reiter. »Macht’s euch bequem. Die Kulp hat gerade gestöhnt, so ginge das nicht weiter. Sie hat zwei Tage keinen Mann gehabt, und der letzte war auch bloß ein Verkehrsunfall. Sie ist Modezeichnerin, und der Kerl hätte ihr, ohne die kleine Gegenleistung, keinen Auftrag gegeben. Ein beinahe impotenter Lebegreis war’s, sagt sie.«
    »Das sind die Schlimmsten«, meinte Labude. »Sie probieren ununterbrochen, um nachzusehen, ob sich der Schaden inzwischen behoben hat.« Er blickte sich nach dem Mädchen um, das Kulp hieß. Sie hockte, mit hochgezogenen Beinen, auf einer Chaiselongue und winkte ihm.
    Labude setzte

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