Der Gang vor die Hunde (German Edition)
hielt. Es war ein Fünfzigmarkschein.
Achtes Kapitel Studenten treiben Politik – Labude sen. liebt das Leben – Die Ohrfeige an der Außenalster
Labudes Eltern bewohnten im Grunewald einen großen griechischen Tempel. Eigentlich war es kein Tempel, sondern eine Villa. Und eigentlich bewohnten sie die Villa gar nicht. Die Mutter war viel auf Reisen, meist im Süden, in einem Landhaus bei Lugano. Erstens gefiel es ihr am Lago di Lugano besser als am Grunewaldsee. Und zweitens fand Labudes Vater, die zarte Gesundheit seiner Frau erfordere südlichen Aufenthalt. Er liebte seine Frau sehr, besonders in ihrer Abwesenheit. Seine Zuneigung wuchs im Quadrat der Entfernung, die zwischen ihnen lag.
Er war ein bekannter Verteidiger. Da seine Klienten viel Geld und viele Prozesse hatten, hatte auch er viele Prozesse und viel Geld. Die Aufregungen des Berufs, den er liebte, genügten ihm nicht. Fast jede Nacht saß er in Spielklubs. Die Ruhe, die sein Haus verbreitete, war ihm höchst zuwider. Und die vorwurfsvollen Augen seiner Frau brachten ihn zur Verzweiflung. Da Beide befürchteten, den anderen anzutreffen, mieden Beide die Villa, so oft das möglich war. Und Stephan, der Sohn, mußte, wenn er seinen Eltern begegnen wollte, auf die Gesellschaften gehen, die sie im Winter gaben. Da ihn diese Veranstaltungen von Jahr zu Jahr mehr abstießen, bis er sie endlich nicht mehr besuchte, traf er seine Eltern nur noch aus Versehen.
Das meiste, was er über den Vater wußte, hatte er einmal von einer jungen Schauspielerin erfahren. Das war auf einem Maskenball gewesen, und sie hatte ihm sehr eingehend den Mann geschildert, der sie damals finanzierte. Leichtfertige Frauen versuchen ja gelegentlich, Liebhaber zu erwerben, indem sie die intimen Sitten und Gebräuche der ehemaligen Besitzer ausplaudern. Im Laufe des Gesprächs hatte es sich herausgestellt, daß von Justizrat Labude die Rede gewesen war, und Stephan hatte das Fest fluchtartig verlassen.
Fabian kam nicht gern in die Grunewaldvilla. Er empfand den Aufwand, den solche Häuser mit sich treiben lassen, als albern. Er konnte sich überhaupt nicht vorstellen, daß man mitten in derartigem Luxus das Gefühl, man sei nur auf Besuch, jemals loswerden könne. Und er fand es, von allen anderen Gründen abgesehen, schon deshalb vollkommen in der Ordnung, daß sich Labudes Eltern in dem Wohnmuseum entfremdet hatten.
»Schrecklich«, sagte er zu dem Freund, der am Schreibtisch saß, »jedesmal, wenn ich hierherkomme, erwarte ich, daß mir euer Diener Filzpantoffel überzieht und mit einer Schloßführung beginnt. Falls du mir erzählen solltest, daß der Große Kurfürst auf diesem Stuhl hier in die Schlacht von Fehrbellin geritten ist, könnte ich mich bereit erklären, es zu glauben. Im übrigen danke ich dir für das Geld.«
Labude winkte ab. »Du weißt, daß ich mehr davon habe, als notwendig ist. Lassen wir das. Ich bat dich hierher, weil ich dir erzählen will, was mir in Hamburg passiert ist.«
Fabian stand auf und setzte sich aufs Sofa. Jetzt befand er sich hinter Labudes Rücken, und der Freund brauchte ihn während des Sprechens nicht anzusehen.
Sie blickten beide zum Fenster hinaus, auf grüne Bäume und auf rote Villendächer. Das Fenster war offen, und manchmal kam ein Vogel, spazierte auf dem Fensterbrett hin und her, musterte mit schief gehaltenem Kopf das Zimmer und flog wieder in den Garten zurück. Außerdem hörte man, wie jemand mit einem Rechen die Kieswege harkte.
Labude sah starr in die Zweige des nächsten Baumes. »Rassow schrieb mir, er spräche im Hamburger Auditorium Maximum, vor Studenten aller Richtungen, über das Thema ›Tradition und Sozialismus‹. Und er schlug mir vor, als Korreferent oder im Rahmen der Diskussion von meinen politischen Plänen zu erzählen. Ich fuhr hinüber. Der Vortrag begann. Rassow berichtete den Studenten von seiner Rußlandreise und von seinen Erfahrungen und Gesprächen mit russischen Künstlern und Wissenschaftlern. Er wurde von den Vertretern der sozialistischen Studentenschaft wiederholt unterbrochen. Anschließend sprach ein Kommunist und wurde seinerseits von den Bürgerlichen gestört. Dann kam ich an die Reihe. Ich skizzierte die kapitalistische Situation Europas und stellte die Forderung auf, daß die bürgerliche Jugend sich radikalisieren und daß sie den kontinentalen Ruin, der von allen Seiten, passiv oder aktiv, vorbereitet wird, aufhalten müsse. Diese Jugend, sagte ich, sei im Begriff, in absehbarer
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