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Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Der Gang vor die Hunde (German Edition)

Titel: Der Gang vor die Hunde (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Erich Kästner
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entschieden zu weit«, meinte Fabian höflich, aber bestimmt. »Wohin soll das führen, wenn Sie jedem Angestellten, der zu spät kommt, Entschuldigungen soufflieren, Herr Direktor?« Er schüttelte bekümmert den Kopf.
    »Ich fürchte, Sie werden unverschämt!« rief der Direktor.
    »Wer wird denn gleich ans Äußerste denken, Herr Direktor«, sagte Fabian, ließ den dicken Mann stehen und ging den Korridor entlang, an vielen Türen vorbei, in sein Zimmer.
    Fischer, der alberne Kollege, war schon beim zweiten Frühstück. »Vom Alten geschnappt worden?« fragte er neugierig.
    »So ziemlich.«
    »Woran liegt das bloß, daß Sie nie pünktlich sind?«
    »Die Menschheit zerfällt«, dozierte Fabian, »in zwei Kategorien.«
    »In Männer und Frauen.«
    »Ihre unsittliche Unterscheidung ist, an meiner Einteilung gemessen, nebensächlich. Die Menschheit zerfällt in Frühaufsteher und Langschläfer. Ich gehöre zu der zweiten Sorte. Guten Morgen, Herr Fischer!«
    »Guten Morgen.«
    »Ein moderner Kinderphysiologe hat sich meine Ansicht, ohne sie zu kennen, zu eigen gemacht und fordert deshalb die Verlegung des Schulbeginns auf neun Uhr. Die Langschläfer sind, trotz Fleiß und Ehrgeiz, in den zeitigen Morgenstunden arbeitsunfähig. Testprüfungen haben das bestätigt.«
    Der Kollege Fischer rutschte unruhig auf seinem Stuhl umher. »Bevor ich’s vergesse, Kunze hat eine Inseratenserie gezeichnet, zu der wir gereimte Zweizeiler liefern sollen. Das liegt Ihnen sicher.«
    »Ihr Zutrauen ehrt mich«, sagte Fabian, »aber ich habe noch mit den Schlagzeilen für die photomontierten Plakate zu tun. Dichten Sie inzwischen ruhig drauflos. Denn was nützt Ihnen das Frühaufstehen, wenn sich’s nicht reimt?« Er sah durchs Fenster, zur Zigarettenfabrik hinüber, und gähnte. Der Himmel war grau wie der Asphalt auf den Radrennbahnen. Fischer ging auf und ab, gab Falten lebhaften Unwillens zum besten und fing Reimwörter.
    Fabian rollte ein Plakat auf, befestigte es mit Reißzwecken an der Wand, stellte sich in die entlegenste Zimmerecke und starrte das Plakat an, das mit einer Photographie des Kölner Doms und einer vom Plakathersteller daneben errichteten, dem Dom an Größe nichts nachgebenden Zigarette bedeckt war. Er notierte: »Nichts geht über … So groß ist … Turmhoch über allen … Völlig unerreichbar …«
    Da erschien Direktor Breitkopf im Türrahmen, nickte milde und sagte zu Fabian, der unergründlich den Kölner Dom fixierte: »Wozu wollen wir uns streiten, mein Lieber?«
    »An mir hat es nicht gelegen, Herr Direktor.«
    »Schwamm drüber! Ihr Prospekt für Detailhändler hat außerordentlich gefallen. Ich weiß es von mehreren Direktionsmitgliedern. Sie haben Phantasie und Geschmack, wird behauptet. Ihre Fähigkeit, durch Text Interesse zu erwecken, sei beträchtlich.«
    Fabian stellte sich vor dem Chef auf. »Sie wollen mir eine Gehaltszulage aufdrängen?«
    »Machen Sie keine Witze. Der Arzt hat mir das Lachen verboten, weil sonst die Narbe platzen könnte.«
    Fischer fand, die Gelegenheit sei günstig. Er kam näher und erkundigte sich nach dem Befinden.
    »Die Geschichte heilt sehr schwer«, bemerkte der Direktor. »Das liegt am Bauch, lieber Fischer. Seien Sie froh, daß Sie keinen Bauch haben. Sie mit Ihrem unterernährten Körper können einer Blinddarmoperation gefaßt ins Auge sehen.«
    Fischer lachte geschmeichelt. Breitkopf wurde rege. Die Wunde sei noch immer nicht geheilt. Täglich müsse er zum Arzt. Der Schnitt reiche von hier bis da. Er zeigte die Entfernung auf der Weste. Und dann fragte er die Beiden: »Wollen Sie sich die Sache mal ansehen?«
    Fischer dienerte. Fabian machte eine einladende Handbewegung. Breitkopf ging zur Tür und schob den Riegel vor. Dann zog er Jackett und Weste aus, warf sie aufs Sofa, streifte die Hosenträger ab, ließ die Hosen herunter und knöpfte die Unterhose auf. »Sie wissen ja, wie ein Mann aussieht«, sagte er und hob das Hemd hoch und klemmte es unters Kinn.
    »Sie haben ja ein Korsett an, Herr Direktor«, rief Kollege Fischer.
    »Das trage ich nur, damit der Leib zusammengehalten wird. Sonst hängt er herunter, und die Heilung wäre noch schwieriger als jetzt. Los, haken Sie mal die Ösen auf! Aber vorsichtig!«
    Fischer waltete seines Amtes. Das Korsett lockerte sich. Breitkopf nahm es fort, schmiß es zu Jackett und Weste und erklärte befehlend: »Nun sehen Sie sich mal diese Schweinerei an!«
    Die Bezeichnung war nicht unzutreffend. Quer über

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