Der Gang vor die Hunde (German Edition)
nicht. Das warme Wasser war kalt. Er wusch sich nur, wechselte die Wäsche, zog den grauen Anzug an und überflog die Zeitung:
Ein sechzehnjähriges Mädchen war verhaftet worden. Sie hatte eine Bande junger Burschen organisiert, zum Stehlen angehalten, mit allen zehn Jungen geschlafen und alle zehn angesteckt. Ein Uhrmacher aus dem Norden war vor einer Woche von zwei Mitgliedern der Bande im Bett erstickt worden. Olga, die Sechzehnjährige, hatte nackt daneben gelegen und ein Küchenbeil für alle Fälle bereitgehalten. Der Mann war fünfzig Jahre alt gewesen, viele Mädchen der Gegend hatten ihn gekannt. Er hatte sie alle im Bett gehabt und nackt photographiert. Die Photos waren beschlagnahmt und ein Schrank voller Seidenwäsche, Strumpfbänder und Strümpfe war gefunden worden.
Olga hatte die Freunde am Abend, eine Stunde vor dem Mord, eingelassen. Diese Stunde hatte man gebraucht, ehe der Uhrmacher, mit dem Gesicht in die Kopfkissen gedrückt, erstickt war. Dann hatten sie sein Geld und die von ihm sorgfältig an mehreren Stellen der Wohnung versteckten Schmucksachen geraubt.
Übrigens sei, teilte die Polizeidirektion mit, das Mädchen schwanger, im fünften Monat. Gestanden hätten sie. Bereut hätte niemand.
Fabian warf die Zeitung in den Papierkorb, nahm den Brief seiner Mutter und setzte sich ans Fenster. Der Straßenlärm trommelte wie ein Regenguß an die Scheiben. In der dritten Etage übte jemand Klavier. Nebenan schrie der alte eingebildete Oberrechnungsrat seine Frau an. Fabian öffnete das Kuvert und las:
»Mein lieber, guter Junge!
Gleich zu Anfang und um Dich zu beruhigen, der Doktor hat gesagt, es ist nichts Schlimmes. Es ist wohl was mit den Drüsen. Und kommt bei älteren Leuten öfter vor. Mach Dir also meinetwegen keine Sorgen. Ich war erst sehr nervös. Aber nun wird es schon wieder werden mit dem alten Lehmann. Gestern war ich bißchen im Palais-Garten. Die Schwäne haben Junge. Im Parkcafé verlangen sie siebzig Pfennig für die Tasse Kaffee, so eine Frechheit.
Gott sei Dank, daß die Wäsche vorbei ist. Frau Hase sagte im letzten Augenblick ab. Einen Bluterguß hat sie glaub ich. Aber es ist mir gut bekommen. Morgen früh bringe ich den Karton zur Post. Hebe ihn gut auf und schnür ihn fester zu als das letzte Mal. Wie leicht kann unterwegs was wegkommen. Die Mieze sitzt mir auf dem Schoß, sie hat eben ein Stück Gurgel gefressen, und nun stößt sie mich mit dem Kopf und will mich nicht schreiben lassen. Wenn Du mir wieder wie vergangene Woche Geld in den Brief steckst, reiß ich Dir die Ohren ab. Wir reichen schon und Du brauchst Dein Geld selber.
Macht es Dir denn auch wirklich Spaß, für Zigaretten Reklame zu machen? Die Drucksachen, die Du schicktest, haben mir gut gefallen. Frau Thomas meinte, es ist doch ein Jammer, daß Du solches Zeug schreibst. Aber ich sagte das ist nicht seine Schuld. Wer heute nicht verhungern will, und wer will das schon der kann nicht warten, bis ihm der richtige Beruf durch den Schornstein fällt. Und dann habe ich noch gesagt, es ist ja nur ein Übergang.
Der Vater hat halbwegs zu tun. Es scheint aber was mit der Wirbelsäule zu sein. Er geht ganz krumm. Tante Martha brachte gestern ein Dutzend Eier aus dem Garten. Die Hühner legen fleißig. Das ist eine gute Schwester. Wenn sie nur nicht so viel Ärger mit dem Mann hätte.
Mein lieber Junge, wenn Du doch bald mal wieder nach Hause kommen könntest. Ostern/warst Du da. Wie die Zeit vergeht. Da hat man nun ein Kind und hat eigentlich keins. Die paar Tage im Jahr, wo wir uns sehen. Am liebsten setzte ich mich gleich auf die Eisenbahn und käme hinüber. Früher war das schön. Fast jeden Abend vor dem Schlafengehen sehe ich mir die Bilder und die Ansichtskarten an. Weißt Du noch, wenn wir den Rucksack nahmen und loszogen? Einmal kamen wir mit einem ganzen Pfennig zurück. Da muß ich gleich lachen, während ich dran denke.
Na, auf Wiedersehen, mein gutes Kind. Vor Weihnachten wird es ja wohl nicht werden. Gehst Du immer noch so spät schlafen? Grüß Labude. Und er soll auf Dich aufpassen. Was machen die Mädchen? Sieh Dich vor. Der Vater läßt grüßen. Viele Grüße und Küsse von Deiner Mutter.«
Fabian steckte den Brief ein und blickte auf die Straße hinunter. Warum saß er hier in dem fremden, gottverlassenen Zimmer, bei der Witwe Hohlfeld, die das Vermieten früher nicht nötig gehabt hatte? Warum saß er nicht zu Hause, bei seiner Mutter? Was hatte er hier in dieser Stadt, in
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