Der Gang vor die Hunde (German Edition)
Sie das? Sie haben ja keinen Respekt vorm Leben!«
»Nur vor meinem Leben nicht, mein Herr!« rief Fabian und schlug ärgerlich auf den Tisch. »Aber das verstehen Sie nicht, und das geht Sie nichts an! Es besitzt nicht jeder die Geschmacklosigkeit, die Tippfräuleins über den Schreibtisch zu legen. Verstehen Sie das?«
Fischer hatte sich auf seinen Stuhl gesetzt, war blaß geworden und tat, als schreibe er. Breitkopf hielt mit beiden Händen die Weste fest; er fürchtete offensichtlich, die Narbe könne vor Wut zerspringen. »Wir sprechen uns noch«, stieß er hervor, drehte sich um und wollte die Tür aufreißen. Sie öffnete sich nicht. Er rüttelte daran. Er bekam einen roten Kopf. Der Abgang war verunglückt.
»Sie ist verriegelt«, sagte Fabian. »Sie wurde von Ihnen verriegelt, des Blinddarms wegen.«
Der Direktor nickte, wurde noch röter, schob den Riegel zurück, riß die Tür auf, trat hinaus und warf sie zu.
»Da wackelt die Wand«, bemerkte Fabian und widmete sich erneut der Betrachtung des Kölner Doms und der daneben errichteten Zigarette.
Fischer schlug, nachträglich, die Hände über dem Kopf zusammen und rief: »Mensch, das grenzt ja an Majestätsbeleidigung. Dafür wurde man früher eingesperrt.«
»Dafür wird man heute ausgesperrt«, sagte Fabian.
»Na, Sie haben ja vorgebeugt. Er hat sicher eine Heidenangst, Sie könnten, wenn er Sie rausschmeißt, weitererzählen, daß er die Mädchen vom Büro langlegt. Ich dachte, ihn trifft der Schlag. Sie sind ein freches Luder! Aber was machen Sie, wenn er Ihnen trotzdem kündigt?«
»Denken Sie, ich habe mein Leben seit der Konfirmation damit verbracht, gute Propaganda für schlechte Zigaretten zu machen? Wenn ich hier fliege, such ich mir einen neuen Beruf. Auf einen mehr oder weniger kommt es mir nicht mehr an.«
»Erzählen Sie mal was von sich«, bat Fischer.
»Also. Während der Inflation hab ich für eine Aktiengesellschaft Börsenpapiere verwaltet. Ich mußte jeden Tag zweimal den Effektivwert der Papiere ausrechnen. Damit die Leute wußten, wie groß ihr Kapital war.«
»Und dann?«
»Dann hab ich mir für etwas Valuta einen Grünwarenladen gekauft.«
»Warum gerade einen Grünwarenladen?«
»Weil wir Hunger hatten! Überm Schaufenster stand: ›Doktor Fabians Feinkosthandlung‹. Frühmorgens, wenn es noch dunkel war, zogen wir mit einem wackligen Handwagen in die Markthalle.«
Fischer stand auf. »Wie? Doktor sind Sie auch?«
»Ich machte die Prüfung in dem gleichen Jahr, in dem ich beim Messeamt als Adressenschreiber eingestellt war.«
»Wie hieß denn Ihre Dissertation?«
»Sie hieß: Hat Heinrich von Kleist gestottert? Erst wollte ich anhand von Stiluntersuchungen nachweisen, daß Hans Sachs Plattfüße gehabt hat. Aber die Vorarbeiten dauerten zu lange. Genug. Dichten Sie lieber!« Er schwieg und ging vor dem Plakat auf und ab. Fischer schielte neugierig zu ihm hin. Doch er wagte nicht, das Gespräch zu erneuern. Seufzend drehte er sich im Stuhl herum und musterte seine Reimnotizen. Er beschloß, Brauchen auf Rauchen zu reimen, glättete das Schreibpapier, das vor ihm lag, und schloß, der Inspiration vertrauend, die Augen.
Aber da klingelte das Telefon. Er hob ab und sagte: »Ja. Er ist hier. Einen Augenblick, Doktor Fabian kommt sofort.« Und zu Fabian meinte er: »Ihr Freund Labude.«
Fabian nahm den Hörer. »Tag, Labude, was gibt’s?«
»Seit wann betiteln dich die Zigarettenfritzen?« fragte der Freund.
»Ich habe aus der Schule geplaudert.«
»Geschieht dir recht. Kannst du heute zu mir kommen?«
»Ich komme.«
»In Wohnung Nummer Zwei. Auf Wiedersehen.«
»Auf Wiedersehen, Labude.« Er hängte ab. Fischer hielt ihn am Ärmel fest.
»Dieser Herr Labude ist doch Ihr Freund. Warum nennen Sie ihn eigentlich nicht beim Vornamen?«
»Er hat keinen«, sagte Fabian. »Die Eltern haben seinerzeit vergessen, ihm einen zu geben.«
»Er hat überhaupt keinen Vornamen?«
»Nein, denken Sie an! Er will sich seit Jahren, nachträglich, einen beschaffen. Aber die Polizei erlaubt es nicht.«
»Sie veralbern mich ja«, rief Fischer gekränkt.
Fabian klopfte ihm anerkennend auf die Schulter und sagte: »Sie merken alles.«
Viertes Kapitel Frau Hohlfeld ist neugierig – Ein möblierter Herr liest Descartes – Der empörte Autobus
Als er sein Zimmer – achtzig Mark monatlich, Morgenkaffee inbegriffen, Licht extra – am Spätnachmittag betrat, fand er einen Brief von seiner Mutter auf dem Tisch. Baden konnte er
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