Der Gang vor die Hunde (German Edition)
Nicht, weil er das Leben photographieren wollte, denn das wollte und tat er nicht. Aber ihm lag außerordentlich daran, die Proportionen des Lebens zu wahren, das er darstellte. Sein Respekt vor dieser Aufgabe war möglicherweise ausgeprägter als sein Zartgefühl. Er fand das ganz in der Ordnung.
Die Sittenrichter, die männlichen, weiblichen und sächlichen, sind wieder einmal sehr betriebsam geworden. Sie rennen, zahllos wie die Gerichtsvollzieher, durch die Gegend und kleben psychoanalytisch geschult, wie sie sind, ihre Feigenblätter über jedes Schlüsselloch und auf jeden Spazierstock. Doch sie stolpern nicht nur über die sekundären Geschlechtsmerkmale. Sie werden dem Autor nicht nur vorwerfen, er sei ein Pornograph. Sie werden auch behaupten, er sei ein Pessimist, und das gilt bei den Sittenrichtern sämtlicher Parteien und Reichsverbände als das Ärgste, was man einem Menschen nachsagen kann. Sie wollen, daß jeder Bürger seine Hoffnungen im Topf hat. Und je leichter diese Hoffnungen wiegen, umso mehr suchen sie ihm davon zu liefern. Und weil ihnen nichts mehr einfällt, was, wenn die Leute daran herumkochen, Bouillon gibt, und weil das, was ihnen früher einfiel, von der Mehrheit längst auf den Misthaufen der Geschichte geworfen wurde, fragen sich die Sittenrichter: Wozu haben wir die Angestellten der Fantasie, die Schriftsteller?
Der Autor erwidert hierauf: Ich bin ein Moralist!
Er sieht eine einzige Hoffnung, und die nennt er. Er sieht, daß die Zeitgenossen, störrisch wie die Esel, rückwärts laufen, einem klaffenden Abgrund entgegen, in dem Platz für sämtliche Völker Europas ist. Und so ruft er, wie eine Reihe Anderer vor ihm und außer ihm: Achtung, beim Absturz linke Hand am linken Griff!
Wenn die Menschen nicht gescheiter werden (und zwar jeder höchstselber, nicht immer nur der Andere) und wenn sie es nicht vorziehen, endlich vorwärts zu marschieren, vom Abgrund fort, der Vernunft entgegen: Wo, um alles in der Welt, ist denn noch eine ehrliche Hoffnung? Eine Hoffnung, bei der ein anständiger Kerl ebenso aufrichtig schwören kann wie beim Haupt seiner Mutter?
Der Autor liebt die Offenheit und verehrt die Wahrheit. Er hat mit der von ihm geliebten Offenheit einen Zustand geschildert und er hat, angesichts der von ihm verehrten Wahrheit eine Meinung dargestellt. Darum sollten sich die Sittenrichter, ehe sie sein Buch im Primäraffekt erdolchen, dessen erinnern, was er in diesem Nachwort wiederholt versicherte.
Er sagte wiederholt, er sei ein Moralist.
Anhang 2 : Nachwort für die Kunstrichter
Die Sittenrichter meinen den Autor, die Kunstrichter meinen das Buch.
Dieses Buch nun hat keine Handlung. Außer einer, mit zweihundertsiebzig Mark im Monat dotierten Anstellung geht nichts verloren. Keine Brieftasche, kein Perlenkollier, kein Gedächtnis, oder was sonst im Anfang von Geschichten verloren geht und im letzten Kapitel, zur allgemeinen Befriedigung, wiedergefunden wird. Es wird nichts wiedergefunden. Der Autor hält den Roman keineswegs für eine amorphe Kunstgattung, und trotzdem hat er hier und dieses Mal, die Steine nicht zum Bauen verwandt.
Man könnte beinahe vermuten, es handle sich um eine Absicht.
Es treten wichtige Personen auf und verschwinden vor der Zeit. Es kommen unwichtige Leute daher und kehren mit einer Heftigkeit, die ihnen gar nicht zukommt, immer wieder. Ein junger Mann erschießt sich. Ein anderer junger Mann ertrinkt. Und beide Todesfälle sind äußerlich so wenig gerechtfertigt, beide Herren kommen derartig aus Versehen ums Leben, daß man fragen könnte: Gab es denn keine zwingenderen Anlässe? Warum versagte der Autor ihrem Tod die Notwendigkeit?
Man könnte beinahe vermuten, es handle sich um eine Absicht.
Die Zahl der Dachziegel, die dem Menschen aufs Barhaupt fallen können, wächst von Tag zu Tag. Die Dummheit dessen, was geschieht, nimmt, vom zunehmenden Tempo des Geschehens angeregt, imposante Ausmaße an. Der Zufall regiert, daß sämtliche verfügbaren Balken knistern. Das Leben ist interessant, das ist das einzig gute Haar in der Suppe, die wir auszulöffeln die Ehre haben.
Der Zustand lebt mehr denn je vom Zufall. Wovon, so fragte sich der Autor, soll die Darstellung des Zustands leben? Jeder Tag ist für den, der ihn erlebt, eine Reise im verkehrten Zug ans falsche Ziel. Weil es viele Möglichkeiten gibt, und nur eine davon kann Tatsache werden, verwirklicht sich das Unwahrscheinliche. Die Vernunft ging ins Exil. Der verworrene Zustand
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