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Der gefährliche Drache

Titel: Der gefährliche Drache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Atherton
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»Bescheißen, um zu gewinnen!« galt Sir Jacques. Unter der Regie der derben Frauen versuchte jede Partei die andere zu übertönen, doch als ihre Helden zu den großen Lanzen griffen und sich vorbereiteten, eine weitere Waffenfertigkeit unter Beweis zu stellen, verstummten sie.
    »Die Ritter sind noch gleichauf«, meinte Lilian. »Doch jetzt kommt die wahre Prüfung ihrer Tapferkeit. Ich glaube, die Quintana ist an der Reihe.«
    »Die was?«, fragte ich.
    »Die Quintana.« Sie deutete auf eine merkwürdige Vorrichtung an der einen Seite des Turnierplatzes, ein paar Meter von der königlichen Galerie entfernt. »Das ist ein Pfahl mit einem sich drehenden Kreuz. Wie du siehst, hängt an einem Ende des Kreuzes eine hölzerne Attrappe und am anderen ein Sandsack. Der Ritter muss mit der Lanze in die Attrappe stechen und dann so schnell wie möglich davongaloppieren, um nicht vom Sandsack getroffen zu werden, der von dem Stoß herumgeschwungen wird. Die Quintana ist ein Wettkampf, in dem es sowohl um Schnelligkeit als auch Genauigkeit geht.«
    »Ein Kinderspiel.« Als sich Sir Jacques in Position begab, stimmte ich in die Schlachtrufe für Sir Peregrine ein.
    Sir Jacques hob seine Lanze, zielte und gab seinem Ross die Sporen. Die Menge hielt den Atem an, und die Erde schien zu beben, als das Pferd mit donnerndem Hufschlag auf die Quintana zugaloppierte. Die Lanze des Drachenritters traf die Attrappe, das Drehkreuz wirbelte herum, das Seil, an dem der Sandsack hing, spannte sich, riss und der Sandsack wurde geradewegs auf König Wilfred zu geschleudert.

9
    HÄTTE SICH KÖNIG Wilfred nicht rechtzeitig geduckt, wäre sein Schädel wie eine Weintraube zermanscht worden. Wäre sein Thron nicht so massiv gewesen, hätte der Höfling hinter ihm schweren Schaden genommen. Der verirrte Sandsack krachte in den Thron, der hielt dem Aufprall stand, und der Sandsack rutschte harmlos auf König Wilfreds Rücken hinab.
    Stille senkte sich über das Turniergelände. Die Spannung unter den Zuschauern war greifbar. Diejenigen, die nicht schon standen, sprangen auf und warfen ängstliche Blicke zur Galerie. Sir Peregrine starrte verwirrt auf die sich drehende Quintana, während Sir Jacques abrupt sein Pferd zum Stehen brachte, seine Lanze einem verdatterten Fußsoldaten zuwarf und zur Galerie zurückgaloppierte, wohl um sich zu überzeugen, dass sein Herrscher unversehrt war.
    Lord Belvedere ergriff den Sandsack und warf ihn auf den Turnierplatz, um sich dann vor den König zu knien und ihn besorgt anzuschauen. Die Höflinge und Burgfräulein erhoben sich von ihren Stühlen und versammelten sich aufgeregt um den grauhaarigen Majordomus. Die Soldaten verharrten auf ihren jeweiligen Posten und tauschten beunruhigte Blicke aus.
    König Wilfred richtete sich langsam wieder auf, setzte sich die heruntergefallene Krone wieder auf, winkte Lord Belvedere zu sich und erhob sich, um zu seinen Untertanen zu sprechen. Er breitete die Arme aus, grinste fröhlich und rief: »Ziel verfehlt!«
    Ein paar Zuschauer kicherten zögerlich, doch als mehrere einstimmten, wurde das Turniergelände mit einem Mal von Gelächter und beherztem Applaus erfüllt. Das Publikum würdigte König Wilfreds Humor in dieser Situation.
    Der nahm die Beifallsbezeugungen gütig entgegen, ließ sich wieder auf den Thron nieder und bedeutete seinen Höflingen, zu ihren Plätzen zurückzukehren. Als alle wieder saßen, nickte er Lord Belvedere majestätisch zu. Kurz darauf dröhnte dessen Stimme erneut durch die Lautsprecher.
    »Verehrte Lehnsherren, meine Damen und Herrn«, sagte er. »Unser tapferer Monarch möchte, dass der Tjost beginnt. Was sagt ihr dazu?«
    Ein Chor begeisterter Rufe erhob sich. Die Zuschauer begrüßten die Entscheidung des Königs, über den Vorfall mit dem Sandsack hinwegzugehen und mit dem Turnier fortzufahren. Während sich die Ritter zum Kampf vorbereiteten, ging ein erwartungsvolles Raunen durch die Reihen.
    Ich starrte auf den Seilstummel, der von der Quintana baumelte, und setzte mich mit einem mulmigen Gefühl im Bauch wieder neben Lilian auf die Erde.
    »Hast du das gesehen?«, fragte ich.
    »Und ob. Scheint, als hätten die Kirmesveranstalter mit einigen Kinderkrankheiten zu kämpfen.«
    »Kinderkrankheiten?« Ich drehte mich zu ihr und starrte sie an. »König Wilfred wäre beinahe zwei Mal am selben Tag umgekommen, und da redest du von Kinderkrankheiten?«
    »Natürlich, was sollte das sonst sein? Ein Putsch?« Sie gluckste unbeschwert, als

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