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Der gefährliche Drache

Titel: Der gefährliche Drache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Atherton
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wäre diese Möglichkeit völlig an den Haaren herbeigezogen. »Du solltest nicht vergessen, Lori, dass die König-Wilfred-Kirmes eine Art Theater ist. Und Pannen gehören zum Theater. Schauspieler fügen sich mit Schwertern Wunden zu, Requisiten gehen zu Bruch, Kulissen stürzen ein. War ja zu erwarten, dass es am Eröffnungstag zu ein paar kleineren Pannen kommt, aber ich bin sicher, dass die Startschwierigkeiten bis morgen behoben sind.«
    »Aber Calvin wäre beinahe getötet worden«, sagte ich abermals. »Nicht nur ein Mal, sondern zwei Mal.«
    »Er ist beide Male wunderbar damit klargekommen, findest du nicht? Er legte die Würde und gute Laune an den Tag, die man von einem frohgemuten Monarchen erwarten darf. Ich bin ziemlich beeindruckt von seinem sicheren Auftreten. Pst, gleich beginnt der Tjost.«
    Ich presste die Lippen zusammen und wandte mich entschlossen dem Turnierplatz zu. Es hatte keinen Sinn, weiter mit Lilian zu diskutieren, konnte ich doch nicht beweisen, dass sie falsch lag. Es stimmte: Im Theater kam es zu Zwischenfällen. Schauspieler wurden von Zeit zu Zeit verletzt. Mochte ich Edmond Deland auch verdächtigen, das Seil der Quintana und die Brüstung des Torhauses manipuliert zu haben, bezeugen konnte ich seine Tat nicht. Ich hatte mir nur vorgestellt, dass er es getan hatte, und dass ich meiner Vorstellungskraft nicht trauen durfte, wusste ich nur allzu gut.
    Während Lilian und ich uns unterhielten, hatten die Ritter ihre federgeschmückten Helme aufgesetzt, ihre Schutzschilde ergriffen und sich von den Fußsoldaten ihre schweren Lanzen reichen lassen. Bewaffnet und gerüstet, standen sie sich auf der Länge des Turnierplatzes gegenüber. Auf der Galerie erhob sich ein blondes Burgfräulein und ließ ein langes Seidentuch über das Geländer baumeln. Sir Jacques’ Pferd scharrte mit den Hufen, und Sir Peregrine warf ungeduldig den Kopf in den Nacken. Die Ritter rückten ihre Schutzschilde zurecht und hoben die Lanzen. Für das Burgfräulein der Moment, um das Seidentuch fallen zu lassen.
    Die Ritter gaben ihren Rössern die Sporen, die mit wildem Hufgetrappel in gestrecktem Galopp aufeinander zustoben. Als sie auf gleicher Höhe waren, zielte Sir Peregrine, und seine Lanze krachte in den Schild mit dem Drachen. Die Lanze zersplitterte, und Sir Jacques wurde aus dem Sattel gehoben, fiel und landete hart auf dem Rücken. Der Drachenritter rappelte sich wieder auf, sah atemlos und verstört drein, doch als Sir Peregrine zu ihm zurückritt, um die Kapitulation des Gegners entgegenzunehmen, sprang der hoch, ergriff mit einer Hand den Einhornschild und zog Sir Peregrine aus dem Sattel.
    Die Menge brüllte vor Vergnügen, als die Ritter sich ihrer Helme entledigten und die Schwerter zogen. Als wäre dies das Stichwort, nahmen die Soldaten Waffen aus den Gestellen und begannen einander zu attackieren. Die Knappen sprangen hastig herbei, um die Pferde in Sicherheit zu bringen.
    »Ein Buhurt!«, rief Lilian vergnügt über den Lärm hinweg.
    In der Mitte des Kampfplatzes klirrten erbittert die Schwerter der Ritter, während die Fußsoldaten mit Spießen, Streitkolben, Morgensternen, Stangen und Streitäxten hantierten. Das Ganze sah aus wie eine Art Kampfballett. Bei all dem Springen, Zur-Seite-Hüpfen, Ducken, Herumtänzeln, Herumwirbeln und den vielen Ausweichmanövern hätte es mich nicht gewundert, wenn auch der Sport des Ohrabschneidens wieder zu Ehren gekommen wäre. Doch die Krieger schienen zu wissen, was sie taten. Wie Lilian vorausgesagt hatte, waren die Bewegungen eher theatralisch als tödlich, und die König-Wilfred-Kirmes wurde nicht durch Blutvergießen befleckt.
    Als sich der Staub wieder gelegt hatte, sah man Sir Peregrine in Siegerpose dastehen, den Fuß auf dem Brustharnisch von Sir Jacques und die Schwertspitze an dessen Hals. Die Soldaten verharrten bewegungslos in Erwartung der Entscheidung ihres Eroberers.
    »Flehe um Gnade«, brüllte Sir Peregrine, »oder stirb.«
    »Gnade!«, knurrte Sir Jacques.
    Gut die Hälfte der Zuhörer murrte enttäuscht, als Sir Peregrine seinen besiegten Feind freigab und sich vor dem König verbeugte. Doch als der Drachenritter auf die Füße sprang, über den Kopf von Sir Peregrine hinweg mit dem Schwertheft das Seidentuch vom Boden schnappte, um den Sieg doch noch für sich zu beanspruchen, wurden ihre Lebensgeister wieder entfacht.
    »Bescheißen, um zu gewinnen!«, riefen die Bauernmädchen, und alle fielen ausgelassen in ihren Sprechgesang

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