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Der gelbe Handschuh

Der gelbe Handschuh

Titel: Der gelbe Handschuh Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alfred Weidenmann
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Jahrmarkt“, bemerkte Frau Finkbeiner. Anschließend flatterte das Ende einer grünen Papierschlange auf ihren Hut.
    Ansonsten waren die beiden Familien aus Berlin vorerst einmal sprachlos. Sie standen zwischen ihren Koffern und staunten.
    Auf einmal sagte jemand zu ihnen: „Gestatten Sie, darf ich Ihnen behilflich sein?“
    Die Stimme gehörte einem Jungen in einer roten Uniform mit ziemlich vielen goldenen Messingknöpfen. „Ich heiße Axel Kannengießer und bin eigentlich Page im Speisesaal. Aber im Augenblick sollen wir den Passagieren bei der Einschiffung behilflich sein. Darf ich um die Tickets bitten?“ Der Junge hatte flachsblondes Haar und eine Stubsnase mit einigen Sommersprossen drumherum.
    „Bitte sehr“, sagten die Herren Finkbeiner und Wagner, als sie ihre Papiere aus der Brieftasche geholt hatten. „Sehr freundlich.“
    „Einen Moment“, meinte der Junge mit dem flachsblonden Haar und trabte los. Er verschwand in einem niedrigen Gebäude, hinter dessen großen Fenstern ein paar Schiffsoffiziere in blauen Uniformen zu sehen waren. Tische mit Schreibmaschinen und davor Leute, die wohl darauf warteten, dranzukommen. Zu ihnen stellte sich der Page aus dem Speisesaal. Dabei blickte er nach draußen und versuchte durch Gesten anzudeuten, daß es wohl nicht allzu lange dauern würde.
    Die Bordkapelle spielte inzwischen „Du mein stilles Tal“.
    Es kamen immer noch Taxis und Omnibusse mit Passagieren. Sie stiegen aus, sahen sich verwundert um und holten dann ihre Fotoapparate heraus. Andere kletterten bereits über die Gangway an Bord, und Matrosen schleppten deren Gepäck hinter ihnen her. Eifrige Stewards warfen immer noch Luftschlangen und Konfetti. Dicht neben dem Fallreep hielt jetzt ein grauer Lieferwagen mit kleinen vergitterten Fenstern. Es sah haargenau so aus wie die Autos, in denen Banken ihr Bargeld spazierenfahren.
    Fünf Männer in dunklen Trenchcoats und mit breitrandigen Hüten sprangen heraus wie Doggen, die man aus dem Zwinger läßt. Sie postierten sich vor der Doppeltür an der Rückseite des Wagens. Dabei hatten sie ihre Hände tief in den Mänteln, und wenn man auch nur die Fantasie eines Maikäfers hatte, mußte einem klar sein, daß sie in ihren Taschen nicht nur Daumen drehten.
    „Bonjour, messieurs“, sagte ein eleganter Herr, der ganz in Schwarz gekleidet war. Er hatte eine Melone auf dem Kopf und weiße Gamaschen über den Schuhen.
    Die fünf Männer in ihren Trenchcoats tippten an den Rand ihrer Hüte und probierten freundliche Gesichter.
    Der elegante Herr lüftete seine Melone nur für einen kurzen Augenblick. Trotzdem konnte man dabei sehen, daß er eine Glatze hatte. Bis auf einen schmalen Kranz von schwarzen Haaren rund um den Kopf herum in der Höhe der Ohren. Er hatte einen jungen Schiffsoffizier mitgebracht und vier Matrosen.
    Die Männer in den dunklen Trenchcoats öffneten jetzt die Tür an der Rückseite des grauen Lieferwagens, und die Matrosen holten eine schmale und ziemlich große Kiste heraus.
    „Attention, cher amis!“ rief der Herr mit der schwarzen Melone und tanzte dabei von einem Bein auf das andere. „Très fragile! Faites attention!“
    Die Matrosen packten die Kiste mit ihren Arbeitshandschuhen aus dickem, gelbem Leder und trugen sie über die Gangway. Der junge Offizier, der elegante Franzose und die fünf dunklen Trenchcoats gingen mit eingefrorenen Gesichtern hinter ihnen her.
    Kurz bevor die Herrschaften das A-Deck erreicht hatten, wurden sie von einer Wolke Konfetti getroffen. Aber das schienen sie gar nicht zu bemerken.
    „Sieht so aus“, sagte Ulli, „als würden sie einen wahnsinnig gefährlichen Gefangenen an Bord transportieren.“
    „Dazu ist die Kiste zu schmal“, bemerkte Peter sachlich.
    „Jedenfalls ist das alles ungeheuer interessant“, sagte Herr Finkbeiner.
    Und dann mahnte auch schon wieder die Stimme aus dem Lautsprecher: „Alle Passagiere an Bord!“
    Die Menschen auf der Pier begannen sich zu verabschieden: Passagiere von ihren Familien, Matrosen von ihren Mädchen. Die Händler mit ihren Luftballons, Ansichtskarten und Zeitungen hatten es plötzlich eilig, weil die möglichen Käufer spätestens in einer Viertelstunde im Schiff verschwinden würden. Jetzt ging es darum, noch im letzten Augenblick das Empire State Building aus Marzipan oder das Gebäude der Vereinten Nationen als Briefbeschwerer an den Mann zu bringen.
    „Daily Mail!“ rief ein langer Neger mit einer Pelzmütze und abgelatschten Tennisschuhen.

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