Der Gesandte des Papstes
zertrümmerten Stühlen und Musikinstrumenten aus dem Tanzhaus kauerte Noah. Der alte Fleischer atmete schwer, hustete und presste sich eine Hand auf den Bauch; sein faltiges Gesicht war grau. Er bemerkte sie und wandte den Kopf in ihre Richtung.
Rahel fürchtete sich ein wenig vor Noah. Mirjam ging einmal in der Woche zu ihm, um gepökeltes Ziegenfleisch oder ein ganzes Huhn zu kaufen. Er mochte keine Kinder und bedachte Rahel stets mit einer finsteren Miene, wenn die Magd sie in den Laden mitnahm.
Nun lag keinerlei Abneigung in seinem Blick. Seine Augen waren wässrig und trüb. »Rahel«, sagte er ächzend. »Bei allen
Höllen, was machst du hier?« Er hustete wieder und schwenkte die Hand. »Lauf! Lauf um dein Leben!«
Da war etwas in seiner Stimme, das sie mit Grauen erfüllte. Sie lief los, rannte schneller als je zuvor in ihrem Leben, ihre kurzen Beine trugen sie zur Pforte, unter dem Torbogen hindurch, auf den Marktplatz. Hinter einem Karren versteckte sie sich und beobachtete die Menschenmenge. Der bärtige Alte hielt sein Kruzifix wie ein Feldzeichen in die Höhe, vor ihm erhob sich ein Wald aus Sensen, Langäxten, Forken und Dreschflegeln.
Zur »Tanzenden Jungfrau« und zu den Gauklern, deren Anführer Yvain hieß, hatte Mirjam gesagt. Rahel versuchte, sich zu erinnern, wo genau sich die Schänke befand. In einer Seitengasse des Marktplatzes, aber das war alles, was ihr einfiel.
Sie schlüpfte in die nächstbeste Gasse - Hauptsache fort von der Meute. Ihr begegnete keine Menschenseele, auch dann nicht, als sie in eine breitere Straße einbog, die von Läden und Weinstuben gesäumt wurde. Alle Christen dieser Gegend mussten zum Marktplatz gegangen sein, wo sie in das Geschrei des Alten mit dem Kruzifix einstimmten.
Ihre Finger begannen, taub zu werden, während sie umherwanderte, die Zehen auch. Geschmolzener Schnee hatte ihre Schuhe durchgeweicht. Bei jedem Schritt gaben sie hässliche, schmatzende Geräusche von sich. Als sie die »Tanzende Jungfer« endlich fand, fingen ihre Zähne an zu klappern.
Ein Schild hing über dem Torbogen, der zum Hof der Schänke führte. Die grüne Farbe war abgeblättert, und man konnte nicht mehr erkennen, was es darstellte. Erleichtert folgte Rahel einer engen Gasse, die an dem Gasthaus vorbeiführte. Da - das musste die alte Lagerhalle sein, in der Yvain und die anderen
Gaukler wohnten: ein flaches Gebäude, das sich an die »Tanzende Jungfer« anschloss, mit Wänden aus Holzbalken, jeder einzelne breiter als Rahel. Sie hörte leise Stimmen.
Sie fand eine Tür mit zwei Flügeln, die schief und krumm in den Angeln hingen. Mirjam hatte gesagt, Yvain erwarte sie, also wäre es wohl am besten, sie klopfte an. Von der Eiseskälte waren ihre Hände jedoch so schwach, dass sie nur ein jämmerliches Pochen zu Stande brachte. Als sie schon davon überzeugt war, dass niemand es gehört hatte, erklangen drinnen Schritte. Einer der Türflügel öffnete sich knarrend, und eine Gestalt erschien. Ihre Hosen und ihr Wams schienen aus Hunderten von Flicken zu bestehen, und die Farbenvielfalt verwirrte Rahel so sehr, dass sie erst nach einigen Augenblicken begriff, dass sie einen Mann vor sich hatte.
Unverwandt starrte er auf sie herab. »Wer bist du?«, fragte er mit einer Stimme, die sich, davon war sie überzeugt, noch besser zum Fluchen eignete als Mirjams.
Sie sagte ihren Namen, aber durch das Klappern ihrer Zähne klang er wie kkkk-Ra-kk-he-kk-el-kkkk. Trotzdem schien der bunte Mann sie zu verstehen, denn er brüllte über die Schulter:
»Yvain! Das Mädchen ist da!«
Rahel versuchte, mit dem Zähneklappern aufzuhören, aber je mehr sie sich bemühte, desto schlimmer schien es zu werden. Ein zweiter Mann erschien in der Tür, älter als der erste und weniger bunt.
»Herrgott, Copin, warum hast du sie nicht hereingelassen?«, fuhr er den Jüngeren an. »Das Kind friert sich ja zu Tode.«
Eine Entschuldigung murmelnd verschwand der Buntgekleidete im Innern des Lagerhauses. Yvain lächelte sie freundlich an. »Komm mit mir«, sagte er. »Drinnen ist es warm. Wir haben schon auf dich gewartet.« Raue Finger schlossen sich um
ihre Hand. Der alte Gaukler führte sie hinein und schloss die Tür.
»Warum bist du allein? Wo ist Mirjam?«, fragte er, während sie das Lagerhaus durchquerten.
Rahel hörte die Frage nicht. Gebannt betrachtete sie die Gestalten, die um die Feuerstelle kauerten. Sie hatte schon oft Gaukler gesehen; an hohen Festtagen waren immer welche im Viertel
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