Der Gesandte des Papstes
EINS
Oberlothringen, Frühjahr 1303
D as Mädchen regte sich unter der Decke und murmelte etwas. Zwei, drei Worte in der Sprache der Träumenden, ein unverständlicher Seufzer, in dem ein vages Unbehagen mitschwang. Die junge Frau stammte aus dem Dorf und war recht hübsch anzusehen mit ihren blonden Locken und dem runden, fröhlichen Gesicht.
Raoul von Bazerat dachte an die letzte Nacht, als sie mit ihm ausgelassen und lachend um das Feuer getanzt hatte. Im Schein der Flammen war sie ihm hübscher erschienen als im kalten Licht des Morgens, mit verquollenem Gesicht und übel riechendem Atem. Aber so erging es ihm immer. Jeden Tag dasselbe Gesicht zu sehen, dieselbe Stimme zu hören, dieselben Lippen zu schmecken - an einem Morgen wie diesem fragte er sich, wie sein Bruder das nur ertrug.
Weil er eben Jacques ist, dachte Raoul und lachte in sich hinein. Der gute, alte, langweilige Jacques. Sein Bruder war mit Lysanne verheiratet, der Tochter eines Edelfreien aus dem Moseltal. Schön, aber genauso langweilig wie ihr Gatte. Raoul wünschte ihnen alles Glück der Erde und dankte gleichzeitig dem Herrn, dass ihm als Zweitgeborenem ein solches Leben erspart blieb.
Vorsichtig, um das Mädchen nicht zu wecken, schlug er die grobe Decke zur Seite und stand auf. Es war kalt in seiner Kammer, das Feuer im Kamin seit einigen Stunden erloschen. Er hob seine Hose vom Boden auf, Beinkleider aus weichem
Leder, schlüpfte hinein und streifte sein Wams über. Während er die hölzernen Knöpfe schloss, ging er zum Fenster. Noch kältere Luft strömte herein, als er die Läden aufklappte - so kalt, dass sein Atem Wölkchen bildete. Der Winter war kraftlos und schneearm gewesen, doch es schien, als wolle er im April nachholen, was er in den Monaten zuvor versäumt hatte. Schnee lag keiner auf den bewaldeten Hügeln hinter dem Landgut, aber Raoul hielt es für möglich, dass in den nächsten Stunden welcher fiel. Der Wind roch danach.
Vielleicht war es die kalte Luft, vielleicht aber auch der Gedanke an einen möglichen Wintereinbruch, die seinen Rachen reizten. Raoul hustete derart heftig, dass er sich auf dem Fenstersims abstützen musste, bis der Anfall vorüber war. Himmel, wann hört das endlich auf?, dachte er, als sich der Schmerz in seiner Brust legte. Der Husten war das Überbleibsel eines leichten Fiebers vor fünf Wochen. Blaise, der Leibarzt der Familie, hatte ihm, bevor er nach Speyer abgereist war, geraten, weniger zu feiern, früher ins Bett zu gehen und eine Weile die Finger von den Mädchen zu lassen. Blaise hatte zu lange die Heilkunst der Sarazenen studiert, um noch zu glauben, Krankheiten seien der gerechte Lohn für Sünden. Aber als der alte Arzt auf sein Pferd aufgestiegen war, hatte Raoul ein Aufflackern von Schadenfreude in den dunklen, stechenden Augen gesehen. Er konnte Blaises Gedanken förmlich hören: Das hast du jetzt davon, du Schürzenjäger. Wie oft habe ich gesagt, dass du dir ein Beispiel an deinem Bruder nehmen sollst? Raoul hatte das getan, was er meistens mit Blaises Ratschlägen tat: sie ignoriert. Blaise war nicht nur der Arzt der Familie, sondern auch ihr Kaplan. Alle um ihn herum sollten wie Mönche leben, damit die alte Krähe nicht ständig daran erinnert wurde, was sie verpasste.
Nicht mit mir, dachte Raoul, während er aus dem Fenster schaute. Ein Ritt durch die Hügel hilft so gut wie ein Tag im Bett. Ich sollte den Bogen mitnehmen. Es dürfte nicht schwer sein, Wildschweine zu finden … Das Wetter war günstig für die Jagd. Es
war kalt, aber klar, und wenn der Schnee ausblieb, konnte es sonnig werden. Raoul atmete die frostige Morgenluft ein und musste wieder husten. Diesmal war es nicht ganz so schmerzhaft, aber als er dem Fenster den Rücken kehren wollte, sah er etwas auf dem Sims glitzern: zwei winzige Rubine auf dem grauen Stein. Raoul berührte sie und betrachtete seine Fingerkuppe. Blut.
Leiser Zorn regte sich in ihm. Zum Teufel damit! Er würde ausreiten und heute Abend ein heißes Bad nehmen, und spätestens übermorgen war der verfluchte Husten verschwunden.
»Geht es dir gut?«
Erschrocken fuhr Raoul herum. Das Mädchen stand nackt neben dem Bett und sah ihn forschend an.
Schnell verrieb er das Blut zwischen den Fingern. »Alles in Ordnung.« Er lächelte. »Was du mit mir angestellt hast, steckt man in meinem Alter eben nicht mehr so leicht weg.«
Das Mädchen erwiderte das Lächeln, aber es lag Unsicherheit darin. »Es ist kalt. Komm wieder ins Bett.«
»Nein.
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