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Der Gesandte des Papstes

Titel: Der Gesandte des Papstes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Lode
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und machten im Tanzhaus Musik. Es waren lustige Gesellen, die unzählige Lieder kannten, waghalsig mit Fackeln und Messern jonglierten und immer schaurige Geschichten auf Lager hatten. Die Männer und Frauen am Feuer jedoch sahen alles andere als lustig aus. Sie hatten schmutzige Gesichter und schlechte Zähne, einer kratzte sich unentwegt, ein anderer schabte sich mit der Messerspitze den Dreck unter den Fingernägeln weg. Und alle starrten sie Rahel an. Sie bekam wieder Angst und wünschte sich zum hundertsten Mal zurück nach Hause.
    »Warum nehmen wir sie mit, Yvain?«, rief jemand aus dem Halbdunkel jenseits des Feuerscheins. »Sie wird uns nur Ärger machen.«
    »Jetzt fang nicht wieder damit an«, erwiderte Yvain. »Wir waren uns doch einig.«
    »Ja. Aber das war, bevor diese Verrückten auf die Juden losgegangen sind.«
    »Ich habe mein Wort gegeben, Gaufrey. Und jetzt will ich nichts mehr davon hören.«
    Yvain brachte sie zu einer Frau am Feuer. Er legte Rahel die rauen Hände auf die Schultern und sagte: »Sieh zu, dass sie trockene Kleider bekommt, Sorgest. Ich will, dass ihr einigermaßen warm ist, wenn wir aufbrechen.«
    »Natürlich, Yvain«, sagte die Frau. Sie war unglaublich dick
und trug mehrere Röcke übereinander und ein geschnürtes Mieder, das aussah, als könnte es jeden Moment platzen. Ihre kurzen schwarzen Haare standen in alle Richtungen ab, ihre Wangen glänzten, und sie stank nach ranziger Butter. Aber wenigstens lächelte sie freundlich. »Du bist Rahel, nicht wahr?«, fragte sie.
    Rahel nickte. Ihre Zähne klapperten noch immer.
    »Ist das ein Beutel mit Kleidern?«
    Sie nickte erneut.
    Sanft nahm ihr die Frau den Beutel aus den zitternden Händen. »Bei allen Heiligen, du frierst ja wie ein geschorenes Lamm. Hier, nimm die Decke und setz dich nah ans Feuer.«
    Auch die Decke stank. Wuschen diese Leute nie ihre Sachen? Die Frau hielt ihr Zögern für Begriffsstutzigkeit, nahm ihr die Decke wieder aus der Hand und wickelte sie darin ein. »Jetzt setz dich schon ans Feuer, Kindchen, sonst holst du dir noch das Fieber.«
    Noch nie hatte sie jemand »Kindchen« genannt. Was war das überhaupt für ein albernes Wort? Sie setzte sich. Die Frau zog ihr die durchgeweichten Schuhe aus und rieb ihre Füße mit einem Tuch trocken. Es kribbelte entsetzlich in ihren Zehen, als die Taubheit nachließ. Die Frau öffnete den Beutel und schüttelte Rahels Kleider heraus. Sie fielen auf den schmutzigen Boden. Rahel wollte protestieren, doch als sie bemerkte, dass einige der Gaukler sie immer noch anstarrten, traute sie sich nicht. Wenigstens hatten ihre Zähne aufgehört zu klappern.
    Die Frau zog ihr Wollstrümpfe an und forderte sie auf, ihren Überwurf auszuziehen. Fassungslos starrte Rahel sie an. Sie sollte sich vor allen Leuten entkleiden? War die fette Frau verrückt geworden?

    Die Gauklerin schien ihre Gedanken zu lesen und lachte fröhlich. »Daran gewöhnst du dich besser, Kindchen. Wir sind keine feinen Leute wie deine Mutter. Wir haben keine Vorhänge und Ankleidekammern.«
    Am Feuer lachten einige. Rahel spürte, wie sie rot wurde, halb vor Scham und halb vor Zorn. An gar nichts würde sie sich gewöhnen! Mit einer Hand hielt sie die Decke um ihren Leib fest, während sie mit der anderen den Überwurf abstreifte. Die Frau sah ihr zu.
    »Ganz schön gelenkig«, sagte sie anerkennend. »Wir sollten eine Fesselakrobatin aus dir machen.«
    Wieder lachten die Gaukler. Rahel verstand nicht, was daran so lustig gewesen sein sollte. Sie streifte die Decke erst ab, als sie ein Unterkleid anhatte, zog ein Gewand aus grobem Leinentuch darüber und schlüpfte in trockene Schuhe. Dann endlich wurde ihr warm.
    Während sie sich umgezogen hatte, war Unruhe unter den Gaukler ausgebrochen. Sie stopften ihre Habseligkeiten in Beutel, warfen sich Mäntel über und fluchten darüber, dass sie hinaus in die Kälte mussten. Die fette Frau führte Rahel zu drei Wagen im hinteren Teil der Lagerhalle. Yvain und zwei weitere Gaukler spannten Pferde ein.
    »Wohin gehen wir?«, fragte Rahel beunruhigt.
    »Wir verlassen Rouen«, sagte die Frau. »Und dann … Ich weiß nicht, welche Pläne Yvain hat. Vielleicht fahren wir nach Paris.«
    Rouen verlassen? Davon hatte ihre Mutter nichts gesagt. Es hatte geheißen, Rahel solle zwei Wochen bei den Gauklern bleiben - und nicht, dass sie nach Paris fahren würden.
    Sie blieb stehen.
    »Was ist denn?«, fragte die Frau.

    »Ich will nicht nach Paris.«
    Die Gauklerin seufzte.

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