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Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall

Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall

Titel: Der Gesang der Hölle: Kommissar Kilians vierter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Rausch
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Ouvertüre
    Es ist die Chance meines Lebens. Sie kehrt nie wieder. Mein ganzer Körper bebt vor Ungeduld. Ich muss mich beruhigen, damit ich die Kontrolle nicht verliere. Denn die Kontrolle zu behalten bedeutet Macht. Kraft ohne Kontrolle ist nichts. Weiß Gott, ich habe Kraft und Kontrolle bewiesen, anders wären die letzten zehn Tage mit den Bamberger Symphonikern nicht zu bewältigen gewesen.
    Doch all die Mühen scheinen umsonst. Ich ahne es. Nun stehe ich vor ihnen, zum letzten Mal, sehe es in ihren Gesichtern geschrieben. Ich kann in ihnen lesen wie in einem Notenblatt. Jeder Augenaufschlag, jede Miene und jeder Atemzug ist eine Note, die ich höre, noch bevor sie erklingt.
    Nun sprecht endlich, ich kenn die Worte zur Genüge, hab sie schon oft gehört. Es kostet Kraft und Überwindung und meine letzten Reserven. Seht her, schreie ich ihnen stumm entgegen, ich habe mich entblößt, euch mein Innerstes gezeigt, meine Seele freigelegt. Ich halte es nicht mehr länger aus.
    Meine Hände auf dem Rücken zu Fäusten geballt, höre ich den Urteilsspruch.
    »Eine außergewöhnliche Leistung«, sagt der, der sich zum Richter über Himmel und Hölle aufschwingt. »Unerwartet und mehr als erstaunlich« sei meine Leistung gewesen, »eines Meisters würdig«.
    Der Richter blickt zur Seite. Seine Adjutanten pflichten ihm bei. Sie nicken, lächeln mir aufmunternd zu, einer klatscht unhörbar in die Hände.
    Sollte ich mich geirrt haben?
    Ein warmer, wohliger Stoß durchfährt meinen Körper. Ich spüre, wie sich mein Brustkorb weitet. Ich möchte singen, meine Freude hinausschreien über den Sieg. Nicht den, den ich errungen habe, sondern den ihrigen über ihr eigenes Mittelmaß, jetzt, da sie endlich meine Kunst verstanden haben. Ich danke euch aus tiefstem Herzen.
    »Mit Ihrer Begeisterung und Leidenschaft für die Musik«, fährt er fort,
»haben Sie uns und die Zuhörer in den Bann gezogen. Die Stimme in Ihrer Musik hat uns bewegt. Es war die der Liebe. Ein unvergessliches Ereignis.«
    Noch ein Wort und ich berste vor Glück.
    »Doch wir mussten hier andere Prioritäten setzen, leider«, spricht er weiter. »Wir hatten zu entscheiden, wie viel Potenzial in den Kandidaten steckt. Dies ist die erklärte Aufgabe unseres Wettbewerbs. Wir haben uns deshalb für Ihren Kollegen Gustavo entschieden. Er hat das Publikum und uns mit seiner unbekümmerten Art verzaubert. So konnten wir erfahren, welches Feuer in ihm brennt und dass es noch viel bei ihm zu entdecken gibt. Wir gratulieren Ihnen herzlich zum zweiten Platz.«
    Ich drohe den Halt zu verlieren, taumle, die Gesichter vor meinen Augen verschwimmen, ihre Stimmen hallen schwer, verhöhnen mich … »Gratulieren Ihnen herzlich zum zweiten Platz.«
    Welche Schande. Ein zweiter Platz ist so viel wert, als wäre ich überhaupt nicht angetreten. Schlimmer, denn jetzt gehöre ich zu den Verlierern, gleich ob Zweiter oder Letzter. Nur der Erste gewinnt, alle anderen sind bereits jetzt vergessen, egal, wie gut ihre Leistungen waren. Wissen sie das denn nicht? Ahnen sie nicht, was sie mir damit antun?
    Ich muss mich beherrschen. Diesen Triumph darf ich ihnen nicht gönnen. Ich werde ihnen eine Lehre erteilen. Besonders ihm, dem Regisseur, der so sicher ist in seinem Urteil, der glaubt zu wissen. Seine gesalbten Worte der Begründung. Er kleidet sie in Aphorismen und Metaphern, so, als wären sie dadurch weniger schmerzlich. Doch sie durchbohren mich wie Pfeile, ein ums andere Mal. Das Lob, das er abermals über mich und meine Arbeit ausschüttet, beschämt mich, beleidigt meinen Geist.
    Er weiß nicht, was er mir antut, denn er weiß nichts von mir und meinem Können. Er ist blind wie ein Maulwurf und taub wie ein Fisch. Wie hatte ich mir nur einbilden können, bei diesem Wettbewerb auf offene Ohren und einen wachen Verstand zu treffen. Die Chance meines Lebens ist vertan. Er und die anderen haben mich betrogen, mich um den Lohn gebracht.
    Der Schmerz ist wieder da, er durchbohrt meinen Kopf wie ein Nagel, wenn er ins Fleisch getrieben wird und den Knochen spaltet. Der hohe, sirrende Ton, der
meine Nervenbahnen zu zerreißen droht, ist unerträglich. Ich halte mir die Ohren zu. Umsonst, er drängt nach draußen. Grenzenlose Wut steigt in mir auf.
    Ich muss mich beruhigen, langsam atmen, den Herzschlag kontrollieren. Ich werde mit erhobenem Haupt dieser Jury trotzen. Die Schmach erdulden. Ich spüre, wie die Kraft mich neu belebt. Der Zorn macht mich stark.
    »Das Potenzial nicht

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